Roger Rüegger
Roger Rüegger
Rund 80 Familien in Grosswangen haben Sepp (61) und Mariann Mehri (63) jeweils ihre Kinder anvertraut. Das Ehepaar chauffierte Buben und Mädchen mit längeren Schulwegen während 31 Jahren zum Unterricht und wieder nach Hause. «Wir machten täglich vier Touren mit 17 Stopps. Pro Fahrt legten wir 33 Kilometer in rund 50 Minuten zurück», rechnet Mariann vor. Die beiden wechselten sich jeden Tag ab. In der Regel übernahm jeder zwei Touren.
Doch das ist Geschichte. Vor den Sommerferien haben sie den Schulbus der Gemeinde zurück gegeben. Das war am 8. Juli. «Wir haben immer von 30 Jahren gesprochen. Nun zogen wir nach 31 Jahren einen Strich, es ist gut so», sagt Sepp. Mariann fügt hinzu: «Nach sechs Wochen, in denen wir sowieso nicht gefahren sind, fehlt uns eigentlich nichts, ausser die geliebten Kinder. Es war sehr schön, wir haben die Aufgabe mit Herzblut und Hingabe ausgeführt.» Nach einer kurzen Pause ergänzt sie: «Chli komisch esches am erschte Schueltag nach de Ferie glich gsi.»
Alarmglocke in der Werkstatt
erinnerte an die Fahrten
Verständlich, haben sie doch ihr halbes Leben mit den Schulkindern verbracht. Der Garagist liess in seiner Werkstatt zu beginn eine Alarmglocke einbauen, damit sie ja nie eine Fahrt vergessen würden. Tatsächlich erschien der orange Opel Movano mit Sepp oder Mariann am Steuer immer pünktlich. «Eine Mutter sagte am letzten Tag zu mir, dass sie von jetzt an wohl wieder die Uhr stellen müsse. Sie habe sich nämlich nach dem Schulbus orientiert», sagt Mariann.
Wobei sich für die Schüler nichts ändert, da der Schulbus weiterhin fährt. Jedoch wird dieser nicht mehr von Privatpersonen betrieben, sondern von einem Busunternehmen. Laut Sepp Mehri fand sich niemand, der diesen Job übernehmen will. Was ihn nicht überrascht. «Der Zeitaufwand ist beträchtlich. Man muss flexibel sein», erklärt er. «Damit konnte ich meine Hobbys, Fischen, Jagen und die Musik mitfinanzieren.»
«Sepp, du machst das»
Der Vater des Garagisten war der erste Schulbusfahrer in Grosswangen. Er hat sich im Jahr 1972, als das Schulhaus Sigerswil geschlossen wurde, ans Steuer gesetzt. «Mein Vater hatte ein Velo-, Moto- und Nähmaschinengeschäft und besass ein Auto. So führte er hin und wieder Leute durch die Gegend. Als es darum ging, einen Chauffeur für den Schulbus zu finden, hatte der damalige Gemeindeammann Siegfried Amrein kurzerhand zu ihm gesagt: Sepp, du machst das!»
Genauso unkompliziert übergab Sepp Senior seinem Sohn das Steuerrad. Mit den Worten «ab jetzt kannst du fahren» war bereits alles gesagt und beschlossen. Wobei Sepp junior sich nicht an seinen ersten Tag als Schulbusfahrer erinnert. «Ich rutsche da hinein. Ich übernahm oft eine Fahrt, wenn Vater beschäftigt war. Es war vorgesehen, dass ich sein Nachfolger werde.»
In den 30 Jahren gab es einige Momente, an die sich Mehris gerne erinnern. So habe ein Kind einmal gesagt: «Gäll Mariann, ihr habt uns Kinder schon fest gerne, du machst es nicht nur für das Geld?» Sepp sagt dazu: «Natürlich muss man die Kinder gerne haben, sonst macht man das nicht. Es hatte immer ein paar Lausbuben dabei, aber ich bin immer mit allen klar gekommen.» Wenn es besonders bunt zu und her gegangen sei, habe er einfach am Strassenrand angehalten. «Ich musste gar nichts sagen. Wenn der Bus nicht plangemäss stoppte, wussten alle, dass sich Sepp jetzt wieder auf die Fahrt konzentrieren will und es wurde merklich ruhiger im Fahrgastraum.»
Lehrpersonen schmückten den Schulbus mit Blumen
Aber eben. Dieses Kapitel wurde geschlossen und Mehris offiziell verabschiedet. Die Lehrer schmückten am letzten Tag den Bus mit Blumen und die Kinder brachten Klebefolien mit der Aufschrift «Danke» an.
Neben Lehrpersonen und Schulkindern waren auch zahlreiche Eltern auf dem Schulhof anwesend. Eine Mutter von Kindern, die längst nicht mehr schulpflichtig sind, bedankte zu bei ihnen mit den Worten: «Ihr habt meine Kinder 14 Jahre lang sicher zur Schule gebracht, im Winter und im Sommer.» Mariann dazu: «Uns ist es in all den Jahren gar nie in dem Masse bewusst gewesen, wie sehr der Dienst von den Eltern und auch den Kindern geschätzt wurde.»
Wobei der Fahrdienst nicht stur eingehalten wurde. Wenn es wie aus Kübeln gegossen hatte, fuhren sie die Kinder bis vor die Haustür. Auch wenn ein Kind nach der Schule knapp dran war und einen Termin hatte, durften sie auf die Flexibilität der Mehris setzen. «Die Eltern wussten das und gaben den Kindern mit, sie sollen Sepp oder Mariann davon unterrichten», sagt Mariann.
Den Service vermisst vermutlich nicht nur das Chauffeur-Ehepaar. Bleibt die eine Frage: Warum übernimmt nicht einer der beiden Söhne Josef (35) oder Marco (32) den Fahrdienst? Marco, der im Familienunternehmen arbeitet winkt ab: «Ich habe Familie. Da bleibt nicht viel Zeit. Ich werde in absehbarer Zeit den Posten des Vaters im Betrieb übernehmen, damit bin ich ausgelastet.»
«Ich werde die 13 Wochen Ferien als Schulbusfahrer vermissen»
Sepp und Mariann werden sich auch nicht langweilen. «Jetzt, da wir teilpensioniert sind, können wir uns ganz dem Kapitel Grosseltern widmen. Auch dies üben wir mit Hingabe aus», sagt Mariann. Auf die Frage, ob er wirklich nichts vermissen wird, meint Sepp schmunzelnd: «Die wunderschönen Bilder der Natur im Wellberg und Leidenberg auf den morgendlichen Fahrten und die 13 Wochen Ferien die ich als Schulbusfahrer hatte.»