notifications
Luzern

Dürfen wir Ostern feiern wie immer – trotz Krieg? Ein Kapuziner gibt eine deutliche Antwort

Willi Anderau, der Guardian des Kapuzinerklosters Wesemlin in Luzern, geht der Frage nach, ob wir in Zeiten des Krieges ein Fest der Lebensfreude feiern sollen.
Das Friedensgemälde «Ta Pana Rei» des Luzerner Malers Hans Erni ist beim Haupteingang des UNO-Hauptsitzes in Genf zu sehen. (Bild: GFC Collection / Alamy)

Willi Anderau

Die Sonne zieht jetzt an jedem Tag ihre Bahn ein bisschen höher. Egal, was auf dieser Welt geschieht, der Frühling ist da. Zeit, ein Frühlingsfest zu feiern. Egal, welche Bahnen die Coronaviren gerade ziehen, und egal, wenn im Kopf des russischen Präsidenten der gesunde Menschenverstand erloschen ist, sodass er kaltblütig einen Nachbarstaat mit seinen Soldaten überfallen kann. Die Welt hat sich verändert, Menschen fürchten sich wieder voreinander und vor Krieg. Doch der Natur ist das gleichgültig, sie ist stärker; der Frühling, der uns neues Leben bringt, ist da. Der Frühling und das Osterfest fallen in unseren Breitengraden zusammen. Kann man in diesen Tagen noch ein Fest der Lebensfreude, kann man frohe Ostern feiern?

Ein Frühlingsfest

Ja, man kann – und ja, man soll. Jetzt erst recht. Wir sollen den Frühling feiern, wie auch immer das Wetter gerade spielt, weil er uns an etwas Selbstverständliches erinnert: Die Lebenskraft ist stärker. Es tut gut zu spüren, dass es Dinge gibt, die stärker sind als alle menschliche Arroganz und grösser als alle aufgeblasenen Diktatoren.

Den Frühling feiern? – Ja. Für viele Menschen in unseren Breitengraden hat sich das Osterfest von einem religiösen Fest langsam zu einem weltlichen Frühlingsfest verändert. Und wenn die Menschen ab Gründonnerstag eine Brücke machen, kommt bis Osterdienstag ein schöner Miniurlaub zusammen. Eine gute Gelegenheit, mehr Zeit zu haben, um lieben Menschen zu begegnen und mit ihnen zu feiern, und mehr Zeit zu haben für sich selbst. Auftanken; wer weiss, für was wir die Reserven noch brauchen können? Das ist doch auch schon etwas.

Ein religiöses Fest

Für viele von uns ist Ostern auch ein religiöses Fest. Wir feiern, dass Christus vom Tod zum Leben auferstanden ist. Eigentlich eine unglaubliche Behauptung. Um sie einigermassen zu verstehen, suchen wir nach Bildern und Vergleichen, die sich dem Unglaublichen annähern. Zum Beispiel der Schmetterling, der sich aus der sterbenden Raupe in die Luft schwingt. Oder das Samenkorn, das in die Erde fällt, stirbt und aus dem später ein grüner Halm der Sonne entgegenwächst. Alles Vergleiche, die uns einleuchten und eine tiefere Wahrheit ahnen lassen.

Vergleiche aber haben ihre Grenzen. Denn in der Natur wächst aus dem Tod niemals neues Leben. Es sieht nur so aus. Genau betrachtet sind das immer nur Umwandlungsformen, neue Formen des Lebens bilden sich aus altem Lebendigem. Mit jeder Geburt beginnt eine biologische Uhr rückwärts abzulaufen. Und irgendeinmal ist total Schluss, sogar mit der ganzen Erde und auch mit der Sonne. Aber so weit brauchen wir gar nicht zu fantasieren. Bleiben wir da, wo wir uns auskennen: bei uns selbst. Mit Botox, Gymnastik und anderen Massnahmen können wir die Spielzeit etwas verlängern. Aber irgendwann wird definitiv abgepfiffen. Manche trösten sich mit dem Gedanken, dass sie weiterleben in den Herzen lieber Menschen, in ihren Kindern, in ihren Büchern, in der Geschichte oder in den Köpfen dankbarer Erben. Trotzdem, der Keim des Todes bleibt drin; den kriegen wir nicht raus, er gehört offensichtlich zur DNA des Lebens. Tod und Leben gehören zusammen. Das haben wir in aller Bescheidenheit so anzunehmen.

Wir Christen und Christinnen feiern an Ostern nicht einfach eine natürliche Verlängerung des Lebens über den Tod hinaus. So, als ob wir mit dem Auferstehungsglauben der Biologie und dem natürlichen Ablauf des Lebens ein Schnippchen schlagen könnten. Wir bekennen, dass nach dem Tod etwas Neues beginnt. Eine andere Form von Leben, welche nichts mehr zu tun hat mit dem natürlichen und wissenschaftlich erklärbaren Ablauf des Kosmos, der vor mehr als 14 Milliarden Jahren mit einem Urknall begann. Dieses neue Leben wird von dem geschenkt, der schon war, ewig, bevor es den Urknall gab – wir nennen ihn oder sie «Gott». Da sind wir nicht allein. Eine Ahnung davon durchzieht in unterschiedlichen Vorstellungen verschiedener Religionen und Philosophien der Weltgeschichte. Und jede tut so, als wüsste sie das noch etwas genauer. Es ist nicht verboten zu denken, dass Gott auf verschiedene Weise zu den Menschen spricht. Wir Christen glauben, dass Gott am deutlichsten durch den Menschen Jesus von Nazareth zu uns gesprochen hat. Er wurde gekreuzigt – und von Gott zeichenhaft aus dem Tode auferweckt. Christus ist uns vorausgegangen in das unendliche Geheimnis Gottes. Weil Gott die Menschen und seine Schöpfung liebt, lässt er Jesus und uns am Ende unseres biologischen Lebens nicht einfach ins Nichts fallen. Er schenkt uns eine neue Zukunft – ausserhalb unserer Zeit und Materie. Beweisen können wir das nicht, nur glauben.

Frohe Ostern

Dieser Glaube gibt unserem Leben eine neue Qualität. Wie in allem Lebendigen der Keim des Todes steckt, so leuchtet an Ostern auch eine Ahnung von der treuen Liebe Gottes zu mir, zu allen Menschen und zur ganzen Schöpfung. An Ostern verstärken wir diese Ahnung. Und wir beginnen uns zu wehren gegen den Keim des Todes, gegen alles, was diese Liebe und die Lebensfreude hindert. Der Keim des Todes steckt in jeder Feindschaft und erst recht in jedem Krieg. Das Osterfest macht uns Mut, gegen die scheinbare Übermacht des Todes aufzustehen und uns zu wehren. Doch passen wir auf, dass wir den Tod nicht mit Tod bekämpfen, dass wir Hass nicht mit Hass und pauschalen Verurteilungen erwidern.

Wir wünschen uns frohe Ostern. Ostern – wie gewohnt? Ostern zu feiern, ist in diesem Jahr anspruchsvoller geworden. Wir brauchen einen tapferen Glauben, um an den Sieg des Lebens über den Tod zu glauben; und noch anspruchsvoller ist es, den grossen Osterglauben hinein zu übersetzen in unsere Gegenwart, in die Realität von Flüchtlingsströmen und nicht zuletzt – in die Realität meines persönlichen Lebens.

Kommentare (0)