Hugo Bischof
Leere Kirchenbänke; immer mehr Menschen, die ihren Glauben verlieren oder sich gar nicht mehr damit beschäftigen: Die katholische Kirche hat, wie andere Konfessionen und Religionen auch, ein Problem. «Man kann Glauben auch im Alltag leben, es braucht dafür nicht immer einen Kirchenbau», sagt Ruedy Sigrist. Das tönt fast schon revolutionär.
Sigrist wurde vor kurzem als Leiter des neuen Pastoralraums Meggerwald eingesetzt. Neuer leitender Priester ist Karl Abbt. Die beiden kommen vom Pastoralraum Kriens, wo sie während der letzten vierzehn Jahre zusammen wirkten. Gemeinsam übernehmen sie nun die Leitung der katholischen Pfarreien Adligenswil, Meggen und Udligenswil, die zu einem Pastoralraum zusammengelegt wurden.
Einfachere Führungsstrukturen
8270 Mitglieder haben die drei Pfarreien zusammen; Meggen ist die grösste (siehe Kasten unten rechts). «Das Bistum Basel fördert Pastoralräume», sagt Ruedy Sigrist. Im Kanton Luzern seien von den 105 katholischen Pfarreien aktuell 25 Pastoralräume geplant: «Drei Viertel davon sind schon umgesetzt.» Mit der Errichtung von Pastoralräumen sollen die Verwaltungen verschlankt und einfachere Führungsstrukturen entstehen. «Jede Pfarrei bleibt gleichberechtigt und eigenständig, es gibt aber eine intensive Kooperation», betont Sigrist. Die Pfarreien behalten eigenes Personal, eigene Räume. «Nur dass jetzt nicht mehr in jeder Pfarrei eine Führungsperson Tag und Nacht vor Ort ist.» Die Pfarreien hätten eigene Identitäten, «darauf nehmen wir Rücksicht». Die Herausforderungen in Udligenswil seien andere als in Meggen.
Vorher hatten Adligenswil und Udligenswil je einen eigenen Pfarreileiter, Meggen einen Pfarrer, der jetzt in die Bistumsregionalleitung nach Luzern wechselte. Ruedy Sigrist und Karl Abbt sind nun in allen Pfarreien präsent. «Wir können nicht überall gleichzeitig sein», sagt Karl Abbt. «Aber es gibt weiterhin Gottesdienste in allen Pfarreien.»
Zulassung zum Priester auch für andere Lebensformen
Ruedy Sigrist und Karl Abbt sind beide ausgebildete Theologen. Sigrist studierte zusätzlich Religionspädagogik. Der 50-Jährige ist verheiratet und lebt mit seiner Frau und ihren drei Kindern in Meggen. Karl Abbt, 1981 zum Priester geweiht, lebt weiterhin in Kriens, nun aber in einer Privatwohnung. Ruedy Sigrist und Karl Abbt ergänzen sich in ihrer kirchlichen Tätigkeit. Der Unterschied ist, dass Sigrist keine Sakramente erteilen darf, ausser Taufe und Ehe.
Beide sind sich einig: Das Zölibat, also das ehelose Leben, das Abbt lebt, sei eine wertvolle Lebensform. Ebenso einig sind sie sich, dass die Zulassung zum Priester auch für andere Lebensformen offen sein müsste. Auch in anderen Punkten sind sie pragmatisch. Abbt: «Ich bin seit 36 Jahren Priester, und noch nie habe ich einer geschiedenen Person die Kommunion verweigert.» Auch der Segnung von gleichgeschlechtlichen Personen stehen sie offen gegenüber.
«Die Menschen sind heute spirituell frei»
Sie seien mit Herzblut Seelsorger, betonen beide. «Wir nehmen die Leute ernst; jede Person, die vor uns sitzt, ist uns in diesem Moment die wichtigste. Wir werben um die Menschen, auch wenn sie schwierig sind. Auch solchen, die aus der Kirche austreten wollen, begegnen wir nicht mit Moral, sondern mit Wort und Tat, mitfühlend, nicht autoritär.»
«Vielleicht 5 bis 10 Prozent aller Gläubigen gehen heute noch regelmässig zur Kirche», schätzt Abbt. «Dann kommt die grössere Gruppe jener, die an grossen Feiertagen eine Messe besuchen.» Was ist mit der grossen Mehrheit, die der Kirche den Rücken kehrte? «Die Kirche hat ihr Monopol verloren, die Menschen sind heute spirituell frei», sagt Abbt. «Als Pfarrei müssen wir tolerant, flexibel, offen für neue Entwicklungen sein. Wir dürfen nicht behaupten, ‹der ist fromm und dieser nicht›.»
Auch eine leere Kirche habe für Menschen ihren Reiz
Junge Menschen gelte es, behutsam an die Kirche heranzuführen – in der Schule, in der Jugendarbeit, in Firmung und Jugendlagern. Die Kirche müsse für Menschen in wichtigen, auch schwierigen Momenten da sein: «Geburt, Lebenskrisen, Beziehungskrisen, Tod, auch in Situationen, wo Menschen an den Rand gedrängt werden.»
Natürlich würden sich die beiden freuen, wenn die Bänke wieder voller würden. «Aber auch eine leere Kirche hat für heutige Menschen einen Reiz», sagt Sigrist. «In einer leeren Kirche kann man zu sich selber und zu Gott finden.» Die Kirche also als Rückzugsort vor der Alltagshektik.