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Vor 75 Jahren wehrten sich die Urschner gegen die Flutung ihres Tals – teilweise auch mit Gewalt

Am Freitag erinnern sich die Andermattner zum 75. Mal an die Krawalle von Ursern. Auch mit den Fäusten wehrten sie sich damals gegen ein Grossprojekt.
Der Nebel über dem Urserntal vom Nätschen aus gesehen, zeigt in etwa die Höhe des Stauseeprojektes von 1943. (Bild: Markus Russi (Andermatt, 5. November 2020))

Christian Tschümperlin

Andermatt war schon immer ein Ort für die grossen Pläne. Nicht erst seit Samih Sawiris. Diejenigen der Centralschweizerischen Kraftwerke (CKW), Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und Schweizerischer Kreditanstalt scheiterten 1946 aber an einem Volksaufstand. Am Freitag, 19. Februar, jähren sich die Krawalle in Ursern zum 75. Mal.

Das abgelegene Urserntal auf zirka 1400 Metern über Meer schien dem «Studiensyndikat für die Urseren Kraftwerke» wie ideal zu sein: Mit einer 208 Meter hohen Staumauer im Bereich Schöllenen hätte das grösste Schweizer Wasserkraftwerk entstehen sollen. Die jährliche Stromproduktion wurde auf drei Milliarden Kilowattstunden errechnet, rund ein Drittel des damaligen Energieumsatzes der Schweiz. Das Tal wäre bis nach Realp überflutet, eine ganzjährige Besiedlung unmöglich geworden. Doch die Planer hatten die Rechnung ohne die Urschner Bevölkerung gemacht.

Es formierte sich heftiger Widerstand, wie in einer Mitteilung der Talarchivkommission Ursern zu erfahren ist. Ein schnell ins Leben gerufenes «Anti-Stausee-Komitee» kämpfte mit Vorträgen und Lobbying gegen das Projekt, das bald schweizweit Schlagzeilen machte. So hatten sich die Planer des CKW dies nicht vorgestellt.

Volksaufstand mit Folgen

Die Planungsstudien wurden im Tal lange kaum wahrgenommen, weshalb man meinte, die Opposition gegen den Stausee habe sich gelegt. Bereits 1920 war von Fritz Ringwald, dem Direktor der CKW, ein Urschner Stauseeprojekt der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Die Bürgergemeinde Andermatt hatte sich dagegen entschieden, der Plan war wieder in den Schubladen verschwunden. Doch auch der zweite Anlauf würde am massiven Widerstand der Bevölkerung scheitern.

Der Kampf der Urschner gegen das Stauseeprojekt gipfelt im Februar 1946 in einem Gewaltausbruch gegen den leitenden Ingenieur des Syndikats. Als Karl Fetz am 19. Februar mit dem letzten Zug von Göschenen her in Andermatt eintrifft, macht dessen Ankunft im Dorf bald die Runde. Er wird von einer grölenden Menge aus rund 250 Andermattern empfangen. Während Regierungsrat Ludwig Danioth und Talammann Alfred Regli versuchen, die aufgebrachte Menge zu beruhigen, legt der eilends herbeigeeilte Gemeindepräsident Pius Regli Fetz nahe, Andermatt schleunigst zu verlassen. Doch es bleibt nicht bei Worten.

«Neu-Andermatt» sollte Fiktion bleiben

Auf dem Trassee der Schöllenenbahn nach Göschenen wird Fetz von einer Schar Jugendlicher windelweich geprügelt und muss Andermatt anschliessend fluchtartig verlassen. Später muss er in Göschenen durch einen Arzt versorgt werden.

In Andermatt hatte sich auch Architekt Fred Ramseyer ein gemütliches Büro eingerichtet, wo er ein Modell von «Neu-Andermatt» mit grossem Stausee anfertigen wollte. Am Abend des 19. Februar bleiben in Alfred Ramseyers Büro aber nur Spuren der Verwüstung übrig. Mit Gewalt war eine Gruppe Andermatter ins Büro eingedrungen und hatte alles kreuz und quer geschlagen.

Damit war der Konflikt zwischen den Urschnern und den grossen Plänen des Syndikats noch nicht zu Ende. Die Elektroindustrie liess nicht locker und hoffte, über eine Teilrevision des Bundesgesetzes über die Nutzbarmachung von Wasserkräften zum Ziel zu kommen. «Neu sollten nicht mehr die Kantone, sondern der Bundesrat für die Verleihung der Konzession zuständig sein», schreiben Stefan Fryberg und Heinz Baumann in ihrem Werk ‹Strube Zeiten›. Doch 1947 treten die eidgenössischen Räte auf den Vorschlag nicht ein und im Mai 1950 empfiehlt der Urner Regierungsrat dem Landrat, das entsprechende Gesuch des Syndikats abzulehnen. Dieses tritt darauf den Rückzug an.

Heute ist das Urserntal dank Samih Sawiris eine blühende, internationale Tourismusdestination, ein wirtschaftlich prosperierender Ort und eine entwicklungsstarke Talschaft. Und so haben die Urschner letztlich doch noch dasjenige Grossprojekt erhalten, das sie auch verdient haben. Nicht zuletzt dank ihrem unerschütterlichen Kampfeswillen.

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