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Uri

Die weinenden Gletscher in Uri

Die Gletscher tauen im Rekordtempo. Dadurch verändert sich nicht nur das Landschaftsbild stark, die Schmelze hat auch direkte Auswirkungen auf den Menschen. Vom Hüfifirn bis zum Dammagletscher – die Tage des «ewigen Eises» in Uri sind gezählt.

Temperaturen über 30 Grad Celsius, so wenig Regen wie noch nie und Feuerverbote in fast allen Kantonen – der Hitzesommer hat heuer gleich mehrere Rekorde gebrochen. Mancherorts waren es die wärmsten und trockensten Sommermonate seit Messbeginn im Jahr 1864. Dabei hat nicht nur der Mensch geschwitzt, sondern auch die Gletscher – und zwar stärker als normalerweise. Unsere Zeitung hat nachgefragt, wie es um die Gletscher und Firnen im Kanton Uri steht. Eines vorweg: Die Zukunftsprognosen für das Überleben der einstigen weissen Riesen sehen düster aus.

«Die Gletscher haben in diesem Sommer mehr gelitten als in anderen Jahren», weiss Alexander Imhof. Im Rahmen einer Studie der Universität Fribourg hat sich der Vorsteher des Urner Amts für Umweltschutz mit den Veränderungen der Gletscher im Einzugsgebiet der Reuss auseinandergesetzt. «Normalerweise bremst eine schützende Schneeschicht das Abschmelzen des Gletschers», so Imhof. «Wegen der Trockenheit und Hitze ist der Schnee in diesem Jahr aber trotz des starken Winters schneller geschmolzen.»

Der grösste Gletscher im Einzugsgebiet des Vierwaldstättersees ist der Hüfifirn im Maderanertal. Im Jahr 2000 bedeckte er eine Fläche von rund 13 Quadratkilometern, an der mächtigsten Stelle schätzte man die Eisdicke auf etwa 360 Meter. «Schätzungen zufolge wird das Eis im Maderanertal bis 2030 um 27 Prozent zurückgehen», sagt Imhof. Diese Prognose könne man noch weiter ziehen: «Bis Ende des Jahrhunderts werden wohl 90 Prozent der Gletscher im Kanton verschwunden sein und nur noch kleine Reste der grossen Gletscher übrig bleiben.»

Je kleiner der Gletscher ist, desto schneller schmilzt er

Zu den acht grössten Gletschern in Uri zählen ausserdem der Dammagletscher, der Flachensteinfirn unter dem Sustenhorn, der Glatt Firn beim Erstfelder Krönten, der Brunnifirn im Oberalpstockgebiet, der Tiefengletscher östlich vom Galenstock, der Isenthaler Blüemlisalpfirn sowie der Chelengletscher, der noch rund 2 Quadratkilometer misst. Wie schnell ein Gletscher schmilzt, hängt dabei stark von seinem Volumen ab. «Das ist wie bei Eiswürfeln», so Imhof. «Die Kleineren verschwinden schneller als die Grösseren.» Ein Beispiel dazu liefert etwa der eher kleine Witenwasserengletscher im Urserntal.

Eine besondere Beziehung zum Dammagletscher hat Lydia Studer. Hoch über der Göscheneralp, auf 2439 Metern über Meer, bewirtschaftet die Inwilerin zusammen mit ihrem Ehemann Franz Studer die Dammahütte. Als eisiger Nachbar begleitet der zweitgrösste Gletscher in Uri das Hüttenpaar von Juli bis September. «Für unsere Gäste ist die direkte Sicht auf den Gletscher natürlich eine Attraktion, viele besuchen uns nicht zuletzt seinetwegen.» Auf den Genuss des Panoramas würden aber oft die Sorgenfalten folgen: «Wegen den vielen Bächen vom Schmelzwasser fragen uns immer wieder Leute, wie lange man den Dammagletscher wohl noch bewundern kann», so Studer.

Auch an der Bergsteigerszene zieht die Gletscherschmelze nicht spurlos vorbei. «Weil die Gletscher zurückgehen, hat man schon oft einen Zustieg verlegen oder eine Route anders planen müssen», weiss Bergführer Leo Infanger. Das habe verschiedene Gründe: «Durch das Wegschmelzen wird Geröll freigelegt. Im Gefälle kann dieses Material für Alpinisten wegen Steinschlag gefährlich werden», erklärt der Silener. Damit zu tun habe auch der Permafrost. Denn wenn der Gletscher zunehmend schmilzt und dadurch die Permafrostböden langsam auftauen, verlieren sie an Stabilität, und es drohen im schlimmsten Fall Murgänge oder Felsstürze.

Neue Herausforderungen für den Wasserhaushalt entstehen

Infanger erkennt aber noch eine weitere Herausforderung – besonders für Hüttenwarte oder Älpler. «Die Wasserversorgung mancher Berghütten wird zusehends schwieriger. Denn mit den Gletschern gehen auch die Quellen zurück.»

Dass sich mit dem Schwinden der Gletscher der Wasserhaushalt verändern wird, bestätigt auch Alexander Imhof. «Gletscher sind wichtige Wasserspeicher und nähren besonders in den Sommermonaten verschiedene Quellen.» Zwar werde der gesamte Jahresabfluss im Einzugsgebiet der Reuss bis Ende des Jahrhunderts um bloss etwa 20 Prozent zurückgehen, das Abflussregime werde sich jedoch früher ins Jahr verlagern. «Wenn die Gletscher fehlen, ist vor allem in den Monaten August und September mit einem Abflussrückgang von 60 Prozent zu rechnen», schätzt Imhof. Gerade an Orten, an denen Quellen von Gletschereinzugsgebieten genutzt werden, könne es deshalb in regenarmen Perioden zu Engpässen bei der Wasserversorgung kommen.

«Gegen den Klimawandel kann jeder etwas unternehmen»

Und was kann der einfache Bürger dagegen unternehmen? «Die Gletscherschmelze ist eine Folge des Klimawandels, der vor allem durch den zu hohen CO2-Ausstoss verursacht wird», sagt Imhof. So könne man beispielsweise auf das Velo steigen, statt das Auto zu nehmen, vermehrt die ÖV benutzen oder regionale Produkte kaufen, die keine langen Transportwege benötigen. «Klar, nur weil wir kein auswärtiges Fleisch mehr essen, werden die Gletscher nicht von heute auf morgen aufhören zu schmelzen. Letztendlich aber kann jeder etwas Kleines dazu beitragen – besonders, was den Klimawandel betrifft.»

Das Verschwinden der eisigen Riesen scheint jedoch unvermeidbar. Schmelzen die Gletscher weiterhin in diesem Tempo, werden wohl künftige Generationen das «ewige Eis» in den Urner Bergen nur noch auf alten Fotos bewundern können.

Weitere Vorher/Nachher-Bildvergleiche von Schweizer Gletschern des Fotografen Simon Oberli gibt es unter www.gletschervergleiche.ch

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