Simon Mathis
Das letzte Stündchen der alten Soldatenstube am Stadtluzerner Murmattweg 2 hat beinahe geschlagen: Am nächsten Montag müssen die Bewohner ausziehen, der Stadtrat will das Gebäude abbrechen. Für einmal setzt sich die Exekutive klar über einen Wunsch des Parlaments hinweg; vergangene Woche hat dieses noch ein Postulat überwiesen, das den Erhalt der Soldatenstube um ein weiteres Jahr fordert.
Der Entscheid des Stadtrats hat im links-grünen Lager für Ärger und Resignation gesorgt. Auch die «Familie Eichwäldli», wie sich die Bewohner nennen, zeigte sich auf Anfrage unserer Zeitung frustriert und ratlos. Trotzdem: Dass der Stadtrat am Abbruch festhält, ist richtig. Mehrere Gründe sprechen dafür.
- Dass die statische Situation heikel ist, sollte eigentlich ausser Frage stehen. Im Parlament wurde die Einsturzgefahr heruntergespielt, aber sowohl die Grossstadträte als auch die «Familie Eichwäldli» berufen sich aufs Hörensagen. Kein Experte steht öffentlich hin und untermauert die angeblich geringe Gefahr mit Fakten. Ein Gegengutachten wurde nicht vorgelegt, stattdessen wird das Gutachten der Stadt uminterpretiert. Aber darin steht schwarz auf weiss: «Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu gravierenden und bedrohlichen Situationen kommen kann.» Messungen haben zudem ergeben, dass das gesamte Gebäude in Bewegung ist: Seit 2016 sind gewisse Stellen bis vier Zentimeter abgesunken.
- Der Stadtrat kann die Verantwortung für einen möglichen Einsturz nicht delegieren. Sollte die Soldatenstube einbrechen, Menschen verletzt oder sogar getötet werden, kann die Exekutive strafbar gemacht werden. Daran würde auch eine Abgabe im Baurecht nicht viel ändern, wie eine rechtliche Abklärung des Stadtrates ergab. Auch ein überwiesenes Postulat ändert nichts daran. Der Stadtrat muss die Verantwortung tragen, deshalb hat er die Schliessung des Gebäudes beschlossen.
- Die Diskussion um die Kosten kommt zu spät. Das Hauptargument des Stadtrates ist, dass die Kosten für den einjährigen Erhalt des Gebäudes unverhältnismässig wären. Je nach Szenario ist die Rede von 100'000 bis 200'000 Franken. Das gehe bestimmt auch billiger, findet die «Familie Eichwäldli». Mag sein. Aber Gegenofferten liegen keine vor. Das Argument der Verhältnismässigkeit ist nicht neu, die Bewohner hätten genug Zeit gehabt, selbst Abklärungen zu treffen und Fakten auf den Tisch zu legen.
- Das Ende der Soldatenstube muss nicht das Ende der «Familie Eichwäldli» sein. Die Bewohner der Soldatenstube haben ihr Anliegen so eng an das Gebäude geknüpft, dass mittlerweile beides untrennbar scheint. Die «Familie Eichwäldli» fordert Wohnraum für alle, will ein selbstbestimmtes, antikapitalistisches Projekt durchziehen. Das wird ohne Soldatenstube schwieriger, aber undenkbar ist es nicht. Die Stadt will die Bewohner auch nicht aus dem partizipativen Prozess ausschliessen. Ein Neuanfang ist möglich. Ohne Polemik – und vielleicht mit etwas weniger Ideologie.
- Der Erhalt des Wohnhauses bringt den Mittagstisch nicht zurück. Wer von der Soldatenstube spricht, meint meist beides: den eigentlichen Gemeinschaftsraum (die Stube) und das angebaute Wohnhaus. Zurzeit wird aber ausschliesslich über das Wohnhaus diskutiert. In diesem dürfen sich laut Gutachten nicht mehr als neun Personen aufhalten. Der geplante Abbruch der Stube wird weder politisch noch fachlich angezweifelt – er aber bildet den eigentlichen Kulturraum, der bereits vor Jahren verloren gegangen ist. Der beliebte Mittagstisch der «Familie Eichwäldli» wird dort nicht mehr stattfinden können.
Auch wenn der Stadtrat in der Sache recht hat: Sein Vorgehen war und ist fragwürdig. Er hat jahrelang herum laviert, wichtige Dokumente erst spät offengelegt – und ausgerechnet jetzt haben sich Stadtpräsident Beat Züsli (SP) sowie Baudirektorin Manuela Jost (GLP) in die Ferien verabschiedet. Dabei könnte sich die Lage beim Eichwäldli in den nächsten Tagen zuspitzen. Inzwischen wurde die Liegenschaft bereits eingezäunt, wie aus den sozialen Medien zu vernehmen ist.
Die «Familie Eichwäldli» könnte sich erneut querstellen – eine mögliche Hausbesetzung steht nach wie vor im Raum. Es wäre die letzte, lauteste Provokation der Bewohner. Der Stadtrat hätte dann keine andere Wahl, als Anzeige zu erstatten und der Polizei die Räumung des Gebäudes aufzutragen. Das Resultat wären einige medienwirksame Bilder und grosse Empörung von links-grüner Seite. Ob diese Empörung nachhaltig ist und irgendetwas Konstruktives mit sich bringt? Es ist zu bezweifeln.
Deshalb ist es nun höchste Zeit, den Tatsachen ins Auge zu blicken und sich von der Soldatenstube zu verabschieden. Auch wenn's weh tut. Wenn der Boden erst einmal geebnet ist, wird das neue Perspektiven eröffnen.