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Nidwalden

Die Ennetmooserin Christine Zoppas fördert Frauen im Schach: «Ab zwölf Jahren bricht der Anteil der Mädchen in den Klubs dramatisch ein»

Den Mädchen verleidet das Schachspiel viel schneller als den Buben. Die Nidwaldner Primarlehrerin Christine Zoppas engagiert sich in einer nationalen Arbeitsgruppe, die dem entgegenwirken will.
Als Jugendliche hat Christine Zoppas viel Schach gespielt, heute ist sie vor allem in der Administration tätig. (Bild: Dominik Wunderli (Ennetmoos, 11. März 2021))
(Bild: Dominik Wunderli (Ennetmoos, 11. März 2021))

Simon Mathis

Simon Mathis

Während die Netflix-Serie «The Queen's Gambit» eine fiktive Schachspielerin feiert, hat Schach in der Realität ein Frauenproblem – auch in der Schweiz. Dagegen ankämpfen will die Ennetmooser Primarlehrerin und Schachspielerin Christine Zoppas. Die 41-jährige Psychologiestudentin engagiert sich in einer neugegründeten Arbeitsgruppe des Schweizerischen Schachbundes (SSB), die gezielt Mädchen und Frauen fördern will.

Online und international ist Schach so beliebt wie schon lange nicht mehr. Merkt man das auch in der Schweiz?Christine Zoppas: Ja, auch wir vom SSB merken, dass das Spiel populärer geworden ist. Corona hat Partien über dem physischen Brett – wir nennen das «Over-the-Board» — zeitweise verunmöglicht, was zu einer Verlagerung ins Internet geführt hat. Die Pandemie hat viele Klubs dazu bewogen, digitale Angebote aufzubauen. Die Onlinebewegung ist mittlerweile riesig. Es fragt sich allerdings, ob die Onlinespieler später den Weg in die Klubs finden. Wir bemühen uns darum.Wie sind Sie zum Schach gekommen?Das weiss ich, ehrlich gesagt, gar nicht mehr so genau. Ich glaube, meine Eltern schickten mich einfach mal in einen Kurs. Eventuell, weil ich sonst kein Talent hatte. (Lacht.) Meine Brüder waren musikalisch sehr begabt, ich interessierte mich für Mathematik. Aktiv gespielt habe ich aber nur zwischen sechs und 18 Jahren. Danach habe ich 20 Jahre Pause gemacht, um dann zum SSB zurückzukehren – dieses Mal in einer administrativen Rolle. Jetzt fasziniert mich Schach vor allem, weil es alle Länder verbindet. Die Regeln sind überall gleich; es gibt eine internationale Schachfamilie.Sie arbeiten seit zwei Jahren für den SSB. Was ist Ihre Aufgabe?Als Leiterin der Fachstelle für Nachwuchsförderung und Ausbildung unterstütze ich mehrere Ressorts des SSB. Zum Beispiel betreue ich unsere Trainer und organisiere Referenten. Auch bin ich Mitglied der Bildungskommission der «European Chess Union».Sie gehören zudem zur Arbeitsgruppe «Mädchen- und Frauenschach», die kürzlich gegründet wurde. Weshalb braucht es diese?Das Feuer fürs Mädchen- und Frauenschach brennt im SSB schon lange. Nur muss sich jemand um das Feuer kümmern und «brennbares Holz» nachlegen. Dass Frauen im Schach untervertreten sind, ist ein altbekanntes Problem. Ein Blick auf die internationale Bestenliste spricht Bände: In der Top 100 befindet sich gerade mal eine Frau: die Chinesin Yifan Hou auf Rang 85.Das zementiert das Vorurteil, Frauen seien keine gute Schachspielerinnen.Ja, das ist ein Fehlschluss. Das Problem ist vielmehr, dass zu wenig Frauen überhaupt erst spielen. Weltweit sind nur ungefähr fünf Prozent der Klubmitglieder weiblich. Da muss man sich nicht wundern, dass die Bestenliste so aussieht.Weshalb spielen denn so wenige Frauen?Interessant ist, dass das Problem bei ganz jungen Spielerinnen und Spielern nicht ganz so gravierend ist. In der Kategorie U8 haben wir 25 Prozent Mädchen, auch bei U12 sind die Zahlen noch ganz anständig. Danach gibt es einen Knick; der weibliche Anteil bricht dramatisch ein. Die Mädchen verschwinden urplötzlich aus den Klubs, oft ohne Begründung.Gibt es dazu Erklärungsansätze?Ja, aufgrund unserer Erfahrung können wir ein paar Annahmen machen. Wir beobachten, dass die Mädchen den Wunsch nach einem mädchenfreundlichen Umfeld und einer gemeinschaftlichen Atmosphäre haben. Deshalb bevorzugen sie Mannschaftssportarten, bei denen die Kommunikation und die Teamfähigkeit im Vordergrund stehen. Zudem ist es ausserordentlich schwierig, ein Mädchen in einer reinen Bubengruppe zu halten – denn als Mädchen fallen sie auf, und das wollen sie meistens nicht. Es ist ein Teufelskreis. Erschwerend hinzu kommt, dass die Mädchen im Gegensatz zu den Knaben ihren Erfolg teilweise nicht als Effekt ihres Könnens sehen.Das heisst?Viele Mädchen unterschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und glauben, zu Unrecht gelobt zu werden. Das habe ich als Primarlehrerin immer wieder mit Erstaunen zur Kenntnis genommen. Demgegenüber halten sich viele Buben bereits für kleine Grossmeister. Wenn sie dann gegen mich verlieren, haben sie zehn Ausreden für ihre Niederlage parat. (Lacht.) So ein Verhalten habe ich bei Mädchen noch nie beobachtet.Was kann man dagegen tun?Da gibt es unterschiedliche Ansätze. Eine Idee ist, das Gemeinschaftliche am Schach stärker zu betonen – zum Beispiel, indem Teams gegeneinander antreten. Da einige Mädchen lieber unter sich spielen, sind auch reine Mädchenturniere ein Thema.Das kann man auch kritisch sehen.Es ist sicher eine Frage der Balance. Wir wollen die Mädchen natürlich nicht schwächen, indem wir sie nur unter sich spielen lassen.Sie sind selbst eine Frau in einem Spiel, das von Männern dominiert ist. Wie erleben Sie das?Mich persönlich hat das nie gestört. In der Schweiz habe ich auch nie irgendwelche Vorurteile erlebt; ich wurde immer als vollwertige Spielerin anerkannt. Ich hatte auch das Glück, dass ich in einem Klub angefangen habe, in dem damals sehr viele Mädchen vertreten waren – sonst wäre ich wahrscheinlich nicht so lange dabei geblieben.Haben Sie als ehemalige Lehrerin das Schach auch für pädagogische Zwecke eingesetzt?Natürlich. Ich habe immer versucht, meine Schülerinnen und Schüler fürs Schach zu faszinieren. Mithilfe von Schach lassen sich übrigens nicht nur Prinzipien aus der Mathematik erläutern. Zurzeit wird etwa erforscht, inwiefern mit einem Schach-Videospiel ADHS-Symptome behandelt werden können.Sie haben eine Elo-Wertung von 1629, ich als Anfänger liege etwa 1000 Punkte unter Ihnen. Schachweltmeister Magnus Carlsen hat eine Wertung von 2862. Kann ich als Dreissigjähriger überhaupt noch richtig gut werden?Zum Grossmeister werden Sie es wohl nicht mehr schaffen. Aber es lohnt sich immer, mit Schach zu beginnen! Das Schöne an diesem Sport ist ja, dass das Körperliche eine untergeordnete Rolle spielt. Man kann bis ins ganz hohe Alter ein herausragender Spieler bleiben.Wo kann man sich melden, wenn man einem Schachklub beitreten will?Es gibt einen Innerschweizer Schachverband. Man kann sich aber auch direkt beim SSB melden. Wir helfen gerne weiter und vermitteln einen Klub in der Nähe.
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