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Diagnose Parkinson: «Ich möchte nicht jammern»

Der Urner Peter Walker leidet seit seinem 46. Lebensjahr an Parkinson. Der heute 67-Jährige lebt mit einer Krankheit, die in der Schweiz 15'000 Menschen betrifft.
Peter Walker lebt seit 21 Jahren mit Parkinson. Oft geniesst er den Ausblick auf den See von seinem Balkon aus. (Bild: Claudia Naujoks (Flüelen, 24. November 2021))
Peter Walker auf seinem Balkon in Flüelen. (Bild: Claudia Naujoks (Flüelen, 24. November 2021))

Claudia Naujoks

Rückblick: Es fängt damit an, dass er in den Ferien die Kugel beim Boccia-Spiel nicht mehr gerade werfen kann. Bei einer Bergwanderung mit einem befreundeten Arzt beobachtet dieser, dass Peter Walker den linken Arm nicht mitschwingt. Er schickt ihn zum Neurologen.

Peter Walker hat zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren seine erfolgreiche Bauunternehmerkarriere im elterlichen Baugeschäft an den Nagel gehängt und will sich beruflich neu orientieren. Er lebt mit seiner damaligen Frau und seinen zwei Kindern zusammen. Als sportlich sehr aktiver und mitten im Leben stehender Familienvater ist die Nachricht über die Krankheit ein Schock. Denn von einem Tag auf den anderen sind die Pläne, die er noch hat, und seine gewohnten Aktivitäten – Skitouren im Winter, Tennisspiel im Sommer, sein tägliches Lauftraining und die Bergtouren mit seinen beiden fast erwachsenen Kindern – in Frage gestellt.

Seine Diagnose bekommt er am Samichlaustag im Jahr 2000 von einem Neurologen. «Als ich zum Arzt ging, wusste ich schon, dass es Parkinson sein könnte, denn ich hatte mich anhand von Büchern informiert», blickt Peter Walker zurück. Trotzdem sei es ein harter Schlag für ihn gewesen, vor allem, als ihm der Arzt schonungslos ausmalte, was ihn in Zukunft erwartet:

«Das machte mir grosse Angst.»

Die Einnahme einer ganzen Palette von Tabletten ist die Antwort der damaligen Medizin auf seine Frage nach Therapiemöglichkeiten. Die einzigen Menschen, die bei der Verarbeitung dieser schwierigen Situation für ihn da sind – seine Familienmitglieder –, befinden sich selber im Schockzustand. Alle ahnen, dass nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.

«Ich habe diese Krankheit, ich bin nicht diese Krankheit»

Zunächst arbeitet er noch in seinem Geschäft als Immobilientreuhänder, bemerkt aber vor allem bei Schreibarbeiten – und er muss viel schreiben – die Auswirkungen der Krankheit. Die Schrift wird immer kleiner und verläuft nach unten. In einem schleichenden Prozess treten, trotz der Medikamente, weitere Symptome auf wie zum Beispiel Bewegungseinschränkungen bis hin zu grosser Überbeweglichkeit.

Heftige Muskelkrampfanfälle, von Schmerzen begleitet, wobei er sich mit beiden Händen auf dem Stuhl abstützt oder am Oberschenkel festhält, gehören zu den täglichen Ereignissen. Des Weiteren leidet er an Schluckbeschwerden, Schlafstörungen, Halluzinationen, einem Verlust des Geruchssinns, depressiven Phasen, Antriebsschwäche und Sprachstörungen.

Mit der Entwicklung und dem Voranschreiten der Krankheit im Zusammenwirken mit den Medikamenten und ihrer Nebenwirkungen nimmt das Leben von Peter Walker unvorhersehbare Wendungen. 2005 zerbricht seine Ehe und er hört auf zu arbeiten, weil es nicht mehr geht. Er durchleidet eine depressive Phase, die ihn dazu veranlasst, an einer Maltherapie teilzunehmen.

Er kann so seine Emotionen ausdrücken und findet darin einen Ausgleich und ein Ventil für das, was in ihm vorgeht. Das Malen hilft ihm abzuschalten, alles für eine Zeit auszublenden. In mehreren Ausstellungen zeigt er seine Werke, unternimmt zusammen mit seiner Lebenspartnerin Malreisen und macht sich als Künstler einen Namen.

Heute sagt Walker:

«Ich möchte nicht jammern und nicht bedauert werden. Ich habe diese Krankheit, aber ich bin nicht diese Krankheit. Ich akzeptiere, dass ich diese Krankheit habe.»

Aber es war ein langer Weg bis dahin, und immer noch nimmt es ihn emotional besonders mit, wenn er – wie neulich im September – in einer Rehabilitationseinrichtung andere Parkinson-Kranke sieht, denen es schlechter geht. Er sieht in ihnen, wie es ihm in der Zukunft gehen könnte, und das versetzt ihn immer noch in grosse Angst.

Diese Angst vor dem, was auf ihn zukommen würde, ist schon in der Anfangszeit aufgetreten, als er noch mit seiner damaligen Frau zusammen eine Selbsthilfegruppe gegründet hat. Anfangs hilft ihm diese sehr, denn dort kann er für andere, auch Früherkrankte etwas tun. Bald jedoch erkennt er, dass er der psychischen Belastung, die Krankheitsverläufe so vor Augen geführt zu bekommen, nicht standhalten kann. Er verlässt die Gruppe schliesslich.

Bewegung ist wichtig

«Heute weiss man, dass neben der gut eingestellten Medikation Bewegung eine sehr wichtige Möglichkeit ist, die Symptome zu behandeln sowie die kognitiven Fähigkeiten zu erhalten», erklärt Hannelore Holtschneider, Lebenspartnerin von Peter Walker. Deshalb ist sein Alltag neben der Logotherapie – einer psychologischen Behandlungsform – und Massage zu einem grossen Teil mit Therapieformen ausgefüllt, die mit Bewegung zu tun haben – wie Physiotherapie und Ergotherapie. Je nach Tagesform setzt er die Übungen auch zu Hause fort, aber manchmal «kann er nicht einmal einen Schritt nach vorne machen, dann steht er wie eingefroren mitten im Zimmer», erzählt Holtschneider.

In der Ergotherapie-Gruppe, in der er sich sehr wohlfühlt, macht er gezielt sogenannte BIG-Übungen. Dabei wird den körperlichen Bewegungen – die durch den Krankheitsverlauf immer kleiner werden, bis zur völligen Blockade – durch bewusst grosse, weit ausholende Bewegungen entgegengesteuert. Aber auch die Überbeweglichkeit – beim Laufen bewegen sich alle Gliedmassen unkontrolliert ausholend, sodass der Eindruck von einem Gangbild eines alkoholisierten Menschen entsteht – gehört zum Krankheitsbild.

Dieses Symptom wurde bei Peter Walker im Jahr 2014 durch das Einsetzen eines Stimulationsgeräts, eines sogenannten DBS («Deep Brain Stimulation»), für einige Jahre völlig unter Kontrolle gebracht. Dadurch gewann er wieder mehr Lebensqualität und konnte den Krankheitsverlauf verlangsamen.

«Ich habe eine andere Einstellung zu Krankheit und Tod»

Das Jahr 2014 ist aber auch das Jahr, in dem er Hannelore Holtschneider kennen gelernt hat, die seitdem nicht mehr von seiner Seite weicht. Sie sagt: «Ich habe eine andere Einstellung zu Krankheit und Tod als wahrscheinlich die meisten. Für mich gehört beides zum Leben dazu, mich stört Peters Krankheit nicht.»

Warum sie so denkt und wie sie Peter Walker kennen lernte, kann im zweiten Teil dieser dreiteiligen Serie gelesen werden. Im Porträt wird es um Hannelore Holtschneider als Angehörige eines Parkinson-Betroffenen gehen.

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