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Luzern

«Der Hut meiner Oma» – junge Krienserin schrieb ein Buch über die DDR-Flucht ihrer Grossmutter

Die Grossmutter von Andrina Herzog flüchtete 1961 aus Ost-Deutschland – der Liebe wegen. Ihre Enkelin veröffentlicht nun anlässlich des 30-Jahr-Jubiläums des Mauerfalls ein Buch darüber.
Andrina Herzog (20) mit dem Hut, den ihre Grossmutter während der Flucht aus der DDR trug. (Bild: Dominik Wunderli, Kriens, 23.10.2019)
(Bild: Dominik Wunderli, Kriens, 23.10.2019)

Emanuel Schüpfer

Emanuel Schüpfer

20. Oktober 1961, 22.30 Uhr, im abgeriegelten Ost-Berlin: Lisbeth Graf, 22, steht vor dem Grenzübergang Friedrichstrasse. Gleich wird sie die gefährliche Flucht in den Westen wagen. Gekleidet in einen braunen Mantel mit weissem Fellkragen, passend dazu einen beigen Hut, mit Souvenirs und einem gefälschten Pass im Gepäck mimt sie eine Schweizer Touristin – fest entschlossen, Ost-Berlin und die Deutsche Demokratische Republik (DDR) zu verlassen.

Enkelin Andrina Herzog (20) aus Kriens befasste sich für ihre Maturaarbeit mit den Umständen und Hintergründen der DDR-Flucht ihrer Grossmutter. Dabei entstand das Buch «Der Hut meiner Oma», welches am 9. November 2019 – also exakt 30 Jahre nach dem Mauerfall – veröffentlicht wird.

Persönliche Erlebnisse mit realen Ereignissen verknüpft

Die Grosseltern, Lisbeth Maler und Peter Graf*, heiraten im August 1961 in Ost-Berlin und wollen sich gemeinsam in der Schweiz niederlassen. Peter wohnt bereits seit Frühling desselben Jahres in Luzern, da er eine Stelle bei der Schindler AG angenommen hat. Seine Liebste soll ihm baldmöglichst nachfolgen. Die Pläne der frisch vermählten Eheleute werden jäh durchkreuzt: In der Nacht vom 12. auf den 13. August 1961 machen DDR-Truppen die Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin dicht, kurz darauf ist die Stadt durch eine permanente Mauer zweigeteilt. Grenzübertritte sind sowohl für Ost- als auch für West-Berliner nicht mehr möglich und ein Ausreiseantrag wird abgelehnt. Doch Lisbeth Graf will einfach nur raus aus der DDR und wagt eine Flucht.

Gut 65 Jahre später schlendert Andrina Herzog im Jahr 2016 als Touristin durch Berlin. Der Eiserne Vorhang ist passé, die Mauer nur noch ein Mahnmal für vergangene Zeiten. Da kommt der Schülerin der Kantonsschule Alpenquai die Idee, die Republikflucht ihrer Grossmutter als Maturaarbeit niederzuschreiben. «Meine Oma hatte grosse Freude an meinem Vorhaben und erzählte mir vieles, nicht nur Details über die Flucht, sondern auch Erlebnisse aus ihrer Kindheit und dem DDR-Alltag», sagt die heute 20-jährige Krienserin rückblickend.

Sie hat die Schilderungen ihrer Grossmutter mit historischen Einzelheiten angereichert und zu diesem Zweck unter anderem Zeitungsartikel, Radiobeiträge und Stasi-Dokumente aus der DDR-Zeit analysiert. «Ich wollte die Geschichte meiner Oma in einen historischen Kontext bringen und in die Ereignisse der damaligen Zeit einbetten», sagt die Studentin der Geschichte und Germanistik. Das Endprodukt ist ein historischer Roman, der in der Erzählung kontinuierlich zwischen verschiedenen Perspektiven wechselt: So ist der Leser auf einer Seite beim Hutkauf der Grossmutter dabei, während er auf einer anderen Seite Zeuge einer brenzligen Szene mit Schussabgabe auf einen Republik-Flüchtenden wird.

Hommage an die Grossmutter

Zurück ins Jahr 1961: Angekommen in West-Berlin erhält Lisbeth Graf auf dem Polizeirevier einen West-Berliner Personalausweis. Die Flugtickets in die Schweiz hat Ehemann Peter ihr durch einen Fluchthelfer, wohnhaft in West-Berlin, übermitteln können. Der Ausreise steht nun nichts mehr im Weg und fünf Tage nach der erfolgreichen Flucht können sich Herr und Frau Graf am Zürcher Flughafen Kloten endlich wieder in die Arme schliessen.

«Das Buch zu schreiben war eine grosse Herausforderung, weil ich nicht wusste, auf was ich mich da einlasse, da ich zuvor noch nie eine längere Geschichte geschrieben habe», erzählt Herzog. Während dem Arbeitsprozess habe sie aber nicht nur den starken Rückhalt aus ihrer Familie gespürt, sondern auch auf fachlicher Ebene ausgezeichnete Unterstützung erhalten: «Mein Mentor Thomas Rosenkranz hat mir auf meinem Weg geholfen, Tipps und Ideen gegeben und war stets überzeugt: ‹das chond guet!›», rekapituliert Herzog. Und es kam mehr als gut: An der Maturafeier 2018 der Kantonsschule Alpenquai wurde Herzog mit dem Preis für die beste geisteswissenschaftliche Maturaarbeit ausgezeichnet. Schliesslich erhielt sie das Angebot, ihre Arbeit bei dem Horwer db-Verlag abzudrucken und das Buch dort herauszubringen.

Zusätzlich zu den Bildern, darunter das Hochzeitsfoto ihrer Grosseltern vor der St. Maria Magdalena-Kirche in Ost-Berlin, und dem Fluchtbericht, den die Grossmutter einige Wochen nach der Grenzüberschreitung verfasst hat, bewahrt Andrina Herzog auch den beigen Hut auf – sorgfältig in Plastikfolie eingehüllt. «Der Hut meiner Oma», so lautet der Titel des Buchs, erweitert den privaten Fundus nun um ein Andenken der literarischen Art.

Am 9. November, genau drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall 1989, stellt Herzog das Buch an einer Vernissage vor und macht die bewegende Geschichte ihrer Grossmutter für die Öffentlichkeit zugänglich. Ihr Werk widmet sie ihrer mittlerweile verstorbenen Grossmutter: «Das Buch ist eine wunderschöne Erinnerung an meine Oma», sagt Herzog.

*Die Namen hat Andrina Herzog in literarischer Freiheit in ihrem Buch geändert. Die richtigen Namen ihrer Grosseltern lauten Gisela Herzog, geborene Kaufmann, und Viktor P. Herzog.

Hinweis
Die Buchvernissage findet am Samstag, 9. November um 17.00 Uhr in der Aula der Kantonsschule Alpenquai statt. Das Buch ist im Buchhandel erhältlich oder kann auch direkt beim Verlag bestellt werden (portofrei): www.db-verlag.ch; info@db-verlag.ch.Andrina Herzog, Der Hut meiner Oma. Eine Flucht aus Ost-Berlin. db-Verlag, Luzern 2019. 132 Seiten, Fr. 18.80, (ISBN 978-3-905388-51-0).

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