Robert Knobel
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Derartige Superlative sind vom Luzerner Stadtrat nicht alle Tage zu hören: «Es gab in der Vergangenheit kaum je ein Projekt mit vergleichbar hohen finanziellen Auswirkungen. Dabei geht der Stadtrat bewusst an die Grenzen des rechtlichen und finanziellen Handlungsspielraums.»
Zu lesen ist dies in der über 200 Seiten starken «Klima- und Energiestrategie», welche der Stadtrat am Freitag vorgestellt hat.
Netto-Null bis 2040: Das sind die Klimaziele des Luzerner Stadtrats
Der Stadtrat plant einen umfassenden Umbau Luzerns hin zu einer klimaneutralen Stadt. Spätestens im Jahr 2040 sollen die CO2-Emissionen unter dem Strich auf «netto Null» sinken. Das bedeutet: Die Emissionen werden drastisch reduziert - und der verbleibende CO2-Ausstoss wird kompensiert, etwa mit Emissionszertifikaten. Zur Einordnung: Heute betragen die jährlichen CO2-Emissionen in der Stadt Luzern 5,1 Tonnen pro Person. Weiter soll der Energieverbrauch bis 2050 halbiert werden (von 4000 auf 2000 Watt/Person). Um diese Ziele zu erreichen, plant der Luzerner Stadtrat umfassende Massnahmepakete.
Produktion von Solarstrom soll sich vervielfachen
Das grosse Dilemma: Der Ausstoss von CO2 soll stark gesenkt werden – doch fast alle Alternativen benötigen elektrischen Strom. Würden sämtliche fossilen Heizungen in der Stadt Luzern durch Wärmepumpen ersetzt, würde der Stromverbrauch um bis zu 85 GWh pro Jahr ansteigen. Auch die Automobilität wird immer mehr Elektrizität verbrauchen. Die Stadt rechnet hier mit einem Zuwachs von bis zu 128 GWh. Zur Einordnung: Diese beiden Posten entsprechen zusammen etwa 50 Prozent des heutigen Stromverbrauchs in der Stadt.
Die zusätzlich benötigte Energie soll möglichst umweltfreundlich hergestellt werden. Die Stadt Luzern setzt dabei vor allem auf Solarstrom. Hier liegt die Stadt im Moment noch weit unter dem kantonalen Durchschnitt. Doch das soll sich künftig ändern. 2050 soll ein Viertel des Stromverbrauchs in der Stadt Luzern von der Sonne gedeckt werden (heute: 2 Prozent). Entsprechend sollen Photovoltaikanlagen massiv ausgebaut werden:
- Die finanzielle Förderung für neue Solaranlagen soll stark ausgebaut werden.
- Bei Dachsanierungen oder Neubauten muss zwingend eine Solaranlage erstellt werden.
Öl- und Gasheizungen sollen verschwinden
Über 90 Prozent der Heizungen in der Stadt Luzern werden heute mit fossilen Energien (Öl oder Gas) betrieben – das ist der höchste Wert aller Gemeinden im Kanton Luzern. Langfristiges Ziel ist es, die meisten der 6000 fossilen Heizungen durch neue Energiearten zu ersetzen.
- Ein generelles Verbot von fossilen Heizungen ist rechtlich nicht möglich. Deshalb sollen in der Bau- und Zonenordnung (BZO) einzelne Gebiete ausgeschieden werden, in denen keine fossilen Heizungen mehr betrieben werden dürfen. Es handelt sich dabei um Gebiete, in denen alternative Energien (Erdwärme, Seewasser, Fernwärme etc.) problemlos verfügbar sind.
- Herkömmliche Holzheizungen, die ganze Gebäude heizen, sollen verboten werden. Davon ausgenommen sind moderne Holzheizungen (Pellets, Schnitzel) sowie Cheminées und Schwedenöfen.
- Der Heizungsersatz in den grossen Blockrandbebauungen in der Innenstadt (Bruchquartier und Neustadt) soll möglichst koordiniert und eigentümerübergreifend erfolgen. Die Stadt begleitet die Eigentümer bei diesem Prozess.
- Die Umrüstung von Heizungen sowie die Isolierung von älteren Gebäuden soll finanziell stärker gefördert werden. Da sich ein grosser Teil der Luzerner Innenstadt in einer Ortsbildschutzzone befindet, sollen zusammen mit der Denkmalpflege Lösungsgrundlagen für die Fassadensanierung von geschützten Gebäuden definiert werden.
- Weiterer Ausbau der See-Energie. So soll bis 2037 ein Teil des Würzenbach-/Seeburg-Quartiers (450 Haushalte) mit Energie aus dem See geheizt werden.
Parkplätze sollen im grossen Stil abgebaut werden
Bisher war im städtischen Mobilitätsreglement eine Plafonierung des Verkehrsaufkommens festgeschrieben. Neu sieht das Reglement eine Reduktion des motorisierten Individualverkehrs um 15 Prozent bis 2040 vor.
- Die Zahl der Parkplätze soll markant reduziert werden:
- Der Abbau von öffentlichen Parkplätzen sei problemlos möglich, sagt Umweltdirektor Adrian Borgula (Grüne): «Heute schon besitzen sehr viele Leute in der Stadt kein Auto. Dieser Trend wird sich wohl noch verstärken - entsprechend braucht es weniger Parkierungsflächen».
- Im Falle der privaten Parkplätze soll das Parkplatzreglement, das bisher nur für Neubauten gültig war, so geändert werden, dass es auch auf bestehende Liegenschaften und Parkplätze ausgeweitet werden kann. Der Hintergrund: Da der Parkplatzbau früher viel grosszügiger gehandhabt wurde, verfügen viele Liegenschaften über eine Anzahl Parkplätze, die nach heutigem Recht gar nicht mehr erlaubt wären. Wird das Reglement auf alle Parkplätze angewendet, müssen rund 8000 davon weichen. Nicht angetastet werden sollen hingegen die rund 7800 Parkplätze in öffentlichen Parkhäusern.
- Bis 2040 sollen alle in der Stadt Luzern immatrikulierten Fahrzeuge elektrisch oder mit erneuerbarem Treibstoff angetrieben sein. Ob die Stadt überhaupt die Kompetenz für so eine Vorgabe hat, ist allerdings fraglich.
- Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos sowohl in privaten Liegenschaften als auch im öffentlichen Raum.
- Bis 2040 soll der städtische Fuhrpark vollständig auf alternative Antriebe umgestellt sein. Ausnahmen gelten für Kehrichtwagen, grosse Reinigungs- und Schneeräumungsfahrzeuge.
- Der Stadtrat setzt sich bei Bund und Kanton für Road Pricing ein.
Und wer bezahlt das alles?
Die Umsetzung der Klima- und Energiestrategie kostet die Stadt Luzern bis 2030 rund 190 Millionen Franken. Ein Grossteil davon entfällt auf die zusätzlichen Fördergelder für die Umrüstung von Gebäuden (Heizung, Solaranlage, Isolierung). Laut Stadtrat ist das immer noch das kleinere Übel als die Kosten, welche eine ungebremste Klimaerwärmung verursachen würde. «Nichts zu machen kostet am Ende viel mehr», sagt Stadtrat Martin Merki (FDP). Umweltdirektor Adrian Borgula (Grüne) fügt hinzu: «Der jüngste Bericht des Weltklimarats hat uns die Dringlichkeit des Anliegens noch klarer vor Augen geführt».
Mit noch viel höheren Summen als in bei der Stadt rechnet man bei der EWL: Die Klima- und Energiestrategie wird dort Investitionen in der Höhe von 1,1 Milliarden Franken nötig machen.
- Die Konzessionsgebühr für das Stromnetz soll von 0,8 auf 1,8 Rappen/kWh erhöht werden. Eventuell wird zusätzlich ein «Klimarappen» von 0,5 bis 2 Rappen/kWh erhoben.
- Die Stadt rechnet mit steigenden Einnahmen aus der CO2-Abgabe des Bundes.
- Um die Klimastrategie umzusetzen, sollen gegebenenfalls andere Investitionen zurückgestellt werden. Auch eine Steuererhöhung ist gemäss Stadtrat nicht ausgeschlossen. Er weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die massiven Investitionen im Klimabereich zum grössten Teil der lokalen Wirtschaft zugutekommen – anders als bei den bisherigen Energieträgern Öl und Gas, wo viel Wertschöpfung ins Ausland fliesst.
Wie sind die ersten Reaktionen auf die Energiestrategie?
Die Klima- und Energiestrategie ist auch ein Resultat von Forderungen aus dem Stadtparlament, die zu diesem Thema eingegangen sind. So wurde 2019 eine Motion der GLP überwiesen, welche CO2-Neutralität (Netto Null) bereits für 2030 fordert. Auch SP und Grüne halten weiter an dieser Forderung fest, wie sie mitteilen. Für den Stadtrat ist 2030 jedoch nicht realistisch - und aus Sicht von EWL ist selbst 2040 zu knapp bemessen, um den gigantischen Umbau der städtischen Wärmeversorgung umzusetzen.
Über die Vorschläge des Stadtrats wird das Parlament im Dezember befinden. Im Fokus stehen dabei vor allem die diversen Reglementsänderungen und Kredite, die für die Energiestrategie nötig sind. Auch das Volk wird sich dazu äussern können - am 15. Mai 2022.