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Den Sinn im vermeintlichen Unsinn finden

Latrinen-Humor und Sarkasmus der groben Art, welcher oft bis an die Grenzen geht – das macht «Family Guy» aus. Allerdings nur vordergründig. Hinter einer der erfolgreichsten US-Zeichentrickserien steckt nämlich viel mehr.

Andreas Faessler

Meiner Lieblingsserie habe ich null Beachtung geschenkt, als sie zu Beginn des neuen Jahrtausends in Europa allmählich bekannt wurde. Die US-Zeichentrickserie «Family Guy», damals grafisch noch dürftig umgesetzt, war für mich spätestens dann Grund zum Weiterzappen, wenn das nervige Baby mit dem Football-Kopf auftauchte. Jahre später jedoch sprang der Funke über, und ich begann, das Konzept der Serie aus dem – so meine ich – richtigen Blickwinkel zu betrachten. Mittlerweile existieren respektable 20 Staffeln mit insgesamt 389 Folgen.

Hauptprotagonisten der Serie sind die Griffins, eine Familie aus einem durchschnittlichen amerikanischen Vorstadtquartier. Die Stadt heisst Quahog – übersetzt Venusmuschel – und entspricht Providence, Hauptstadt von Rhode Island. Oberhaupt der Griffins ist der fettleibige, schmerzlich einfältige Peter, Angestellter in der örtlichen Brauerei. Seine Frau Lois hingegen ist attraktiv und (meist) besonnen, sein pubertierender Sohn Chris dafür noch dümmer als der Vater und genauso übergewichtig, die körperlich ebenfalls wenig anziehende Tochter Meg wird von allen gehasst und gedisst, das Kleinkind Stewie ist so intellektuell wie durchtrieben, und der sprechende Haushund Brian gilt als vollwertiges Familienmitglied und hat einen Hang zu Suchtverhalten.

Groteske Überzeichnung von allerlei Banalitäten

Die Familie pflegt ein nachbarschaftliches Umfeld, das wie die Griffins mit ausgeprägten persönlichen Wesenszügen gesegnet ist – ein sexsüchtiger Ire mit extremen Neigungen, ein dröger Schwarzer mit nervtötend monotoner Stimme sowie ein Polizist im Rollstuhl mit grossem Pflichtbewusstsein und gelegentlichen Anfällen des Jähzorns. Diese explosive Combo an Charakteren ist Grundlage für die Handlungen. Der Erfolg von «Family Guy» basiert zum einen auf dem furztrockenen Ami-Humor aus der Kloschüssel und zum anderen – und das ist der Hauptfaktor – auf einem Grundsarkasmus der Superlative, auf grotesker Überzeichnung an sich banaler Alltagssituationen und auf derbem – oft allerdings sehr geistreichem – Galgenhumor, der ethisch-moralisch nicht selten bis an die Grenzen geht.

Eine besondere «Spezialität» von «Family Guy» sind zum einen regelmässige Rückblenden aus der völlig verrückten Erinnerungskiste der Darsteller sowie zum anderen die übertriebene Wiedergabe aller erdenklichen Stereotypen. Es gibt keine Menschengruppe, keine Minderheit, welche in der Serie nicht ihr Fett abbekommt – oft liebevoll-augenzwinkernd, noch öfter unter die Gürtellinie zielend. Vor allem Aspekte wie Rassismus, Antisemitismus oder Sexismus werden ganz bewusst ad absurdum getrieben, und wenig schmeichelhafte Parodien von Prominenten sind faktisch Pflichtbestandteil jeder Folge. Ganz nach dem Prinzip: Alle haben das Recht, aufs Korn genommen zu werden.

Die genialen Köpfe hinter «Family Guy»

Das alles klingt jetzt nicht gerade nach Unterhaltung für gehobene Ansprüche. Doch wäre «Family Guy» nie und nimmer das, was es tatsächlich ist, stünde dahinter nicht der geniale Seth McFarlane, mehrfach prämiertes Multitalent der amerikanischen Film- und Fernsehbranche. Der Sinn des vordergründig Primitiven, häufig Fragwürdigen bis Grenzwertigen bei «Family Guy» erschliesst sich einem schon bald nach einer gewissen Gewöhnungsphase. Denn neben dem reinen, zugegeben sehr niederschwelligen Unterhaltungswert ist «Family Guy» eine meisterhaft umgesetzte Gesellschaftskritik von der ersten bis zur letzten Folge – mit höchst aufwendig arrangierten Musikeinlagen übrigens.

Seth McFarlane und die klugen Köpfe in seinem Team schaffen es seit über 20 Jahren, der Menschheit erbarmungslos einen Spiegel vorzuhalten, der nichts beschönigt. So überzeichnet die rassistischen Anspielungen, der Sexismus oder die Darstellung von Minderheiten in der Zeichentrickserie auch sein mögen – alles spielt auf das unleugbar Allgegenwärtige in der heutigen Gesellschaft an.

Wenn die Botschaft von «Family Guy» vielleicht dort nicht ankommt, wo sie am nötigsten wäre, so dürfte der eine oder andere sich irgendwo in der Serie wiedererkennen und etwas Selbstreflexion betreiben. Wie steht es um meinen moralischen Kompass? Welche menschlichen Grundwerte halte ich hoch? Wie begegne ich vulnerablen Personengruppen? Bin ich gegenüber Minderheiten wirklich vorurteilsfrei? ... So nämlich erhält der vermeintliche Unsinn bei «Family Guy» ganz und gar seinen Sinn. Und genau diese subtile Botschaft an das Publikum, gepaart mit amerikanischem Galgenhumor, ist es, was ich an dieser Serie mag.

In dieser Serie stellen unsere Redaktoren und Redaktorinnen ihre liebste Serie vor.

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