Roger Rüegger
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Das Töpfern liegt im Trend. In der Zentralschweiz bieten zahlreiche Ateliers und Schulen Kurse an, und in Filmen wie «Ghost» oder «Titanic» machen Szenen mit Drehscheiben Lust auf das alte Handwerk. Apropos, die Schauspieler Leonardo di Caprio und Brad Pitt sollen in Pitts Atelier in den Hollywood Hills regelmässig töpfern. Wir schauen aber einer Hobby-Töpferin in einem Luzerner Atelier auf die Finger. Hier vergreift sich Selina Würsch aus Büren im Ton – und hat sich verliebt.
Eine Tasse Kaffee am Morgen ist ein Muss. Wobei es egal ist, woraus der Pot hergestellt wird. Sie sehen das anders. Was ist an einem Klumpen Lehm liebenswert?Selina Würsch: Im Ton habe ich ein Material gefunden, das sich leicht mit den Händen bearbeiten lässt, und aus dem ich selber etwas Nützliches herstellen kann.Wie eine Kaffeetasse, die man auch kaufen kann!Es geht um mehr als das fertige Produkt – nämlich um den ganzen Prozess. Man lernt nicht nur Technik und Material kennen, sondern gewinnt auch über sich selbst neue Erkenntnisse. Es hat etwas Meditatives und lehrte mich viel über den Umgang mit Frustration, da es bei der Bearbeitung immer wieder Momente gibt, die nicht nach meiner Vorstellung verlaufen.Töpfern wird auch mit Yoga verglichen. Dass Töpfern das neue Yoga sei, ist ein bekannter Spruch. Ein Kollege, der Lehrer für Töpfern und Modellieren sowie auch diplomierter Yogalehrer ist, kann dieser Aussage aber nichts abgewinnen. Er sagt: Töpfern ist Töpfern und Yoga ist Yoga.Nun, Sie haben von Meditation gesprochen!Weil es um höchste Konzentration geht und man sich an der Scheibe mit anderen Gedanken auseinandersetzen kann. Man muss sich konzentrieren, aber sich nicht starr auf das Ziel versteifen. Der Ton bestimmt mit, wie das Endprodukt daherkommt.Hat Ton ein Eigenleben, eine Seele?Auf alle Fälle. Ton ist ein sensibles Material.Muss ich also damit rechnen, dass ich bei Ihnen Tassen bestelle, am Ende jedoch Aschenbecher oder Suppenteller erhalte?So sehr bestimmt der Ton den Prozess dann doch nicht. Das Produkt wächst Schritt für Schritt. Der erste Gang ist das Zentrieren auf der Scheibe. Es braucht viel Übung, den Ton so anzuordnen, dass er gleichmässig dreht. Hat man den Arbeitsschritt geschafft, kann man erst zum nächsten weitergehen.Und wenn das Zentrieren nicht gelingt?Weg von der Scheibe und sich anderen Arbeiten widmen. Oder durchatmen und weiter üben.Der Gedanke gefällt mir: Eine Lehrerin, die sich im Ton vergreift und dabei lernt, sich nicht zu ärgern. Finden Sie beim Töpfern Ruhe?Ja. Man kann es als Therapie sehen, mit einem materiellen Resultat.Warum bezeichnen Sie sich nicht als Töpferin?Ich bin ausgebildete Primarschullehrerin. Töpfern ist ein komplexes Handwerk, das ich nicht gelernt habe. Ich besuchte zwar Kurse und kann Gefässe und Figuren anfertigen. Das macht mich aber nicht zur Töpferin.Das Unterrichten mit Ton ist für Sie dennoch ein Thema?Es wäre für mich das Grösste, Unterricht und Töpferei zu kombinieren. Ich bin gerne Lehrerin und führte bereits Kinderkurse durch. Es ist interessant, wie unterschiedlich Kinder auf das Material reagieren und wie sie lernen, mit Erfolg und Misserfolg umzugehen. Hier sind wir wieder bei der Frustbewältigung. Einige finden dabei eine neue Seite an sich, sind geduldig und verlieren sich förmlich im Gestalten.In England gab es die TV-Show «The Great Pottery Throw Down» mit 2,5 Millionen Zuschauern. Hat Sie die Sendung inspiriert?Die kenne ich nicht. Ich wollte einen Töpferkurs in einem Atelier in Luzern besuchen. Doch zuerst war ich an einem Workshop in Handaufbautechnik bei einer Kollegin in Beckenried. Die Drehscheibentechnik bietet sie nicht an. Aber ich wusste, dass ich nie mehr mit Töpfern aufhören werde.Klingt nach Sucht!Es ist Liebe. Ich verliebte mich in das Material, den Prozess und das Gefühl beim Gestalten.Zuerst zog es Sie in die Ferne. In der Zentralschweiz bieten viele Ateliers Kurse an, in Luzern sogar an der Töpferstrasse. Wieso Frankreich?Primäres Ziel war ein Surfkurs in Spanien. Vorab suchte ich nach Töpferkursen an der Drehscheibe, die ich unterwegs besuchen kann, und fand einen wunderschönen Ort. Als ich am Telefon «Bonjour» sagte, antwortete eine Frau auf Schweizerdeutsch. Eine Luzernerin und ihr Mann haben sich ein Paradies mit Garten und Tieren aufgebaut.Also Töpfern statt Surfen?Beides. Ich blieb zehn Tage, bevor ich mit meinem VW-Bus T4 nach Spanien fuhr. Auf dem Rückweg verbrachte ich eine weitere Woche bei der Luzernerin.Wenn eine Surferin das Töpfern dem Wassersport vorzieht, muss der Ton Magie auf sie ausüben?Surferin bin ich noch weniger als Töpferin. Ich versuche, mich auf dem Brett zu halten. Aber wenn das Paradies am Weg liegt, muss man einkehren.Was motiviert Sie, neben der Vollzeitstelle an der Schule in Hergiswil so viel Zeit in die Töpferei zu investieren?Es ist für mich der perfekte Ausgleich zu meiner Arbeit. Natürlich freut es mich auch, wenn Leute sich für meine Produkte interessieren und ihren Kaffee aus einer Tasse von mir geniessen.