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Luzern

Das mit der Nähe

Kolumnist Robert Bossart über Gewohnheiten während der Pandemie und was «soziale Distanzierung» mit einer Pizzeria zu tun hat.
Gesundheitsminister Alain Berset nimmt seine Maske ab. Gut möglich, dass in der Schweiz die Maskenpflicht bald aufgehoben wird. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Robert Bossart, Journalist, Altwis

Ohne jetzt zynisch erscheinen zu wollen: Irgendwie trauert man den letzten zwei Jahren so­gar ein bisschen nach. Das Ein­gemummeltsein in dieses eine, alles überragende Thema. Vi­rus hier, Virus da, Virus überall. Ein­gepackt in Maske, durchdrungen mit ei­nem Impfstoff – nicht alle, aber viele –, zurück­gedrängt in eine kleine, überschaubare (Home­office-)Welt. Irgendwie habe ich mich daran gewöhnt an das behagliche Pandemie-Leben.

Und nun heisst es plötzlich, wir sollten «die Hüllen fallen las­sen» und dem «Virus mit offe­nem Visier begegnen», also oh­ne Maske. Das stand so in einer Zeitung, die davor auch monatelang von Abstand, Dis­tanz, Vor­sicht und Kontaktvermeidung geschrieben hatte. Dass man mich nicht falsch versteht: Ich gehöre nicht zur Grup­pe der Massnahme- und Impfkritiker, sondern habe da stets artig mit­gemacht. Aber dass wir nun auf einmal angehalten werden, uns die Maske vom Gesicht zu reis­sen und uns von Angesicht zu Angesicht zu begegnen... Etwas irritierend, diese Kehrtwende.

Als ich kürzlich wieder mal in einer gemütlichen ita­lienischen Pizzeria tafelte, kleb­te ein hand­geschriebener Zettel an der Toilettenwand: Bitte halten Sie die soziale Dis­tanzierung ein. Soziale Distanzierung? Klar, das ist die Google-Übersetzung aus dem Eng­lischen und war vom italienisch sprechenden Personal sicher gut gemeint. Aber auf Deutsch tönt das dramatisch. Nach Ent­frem­dung, nach menschlicher Dis­tanz. Also doch was dran an der inneren Pandemie? In der Piz­zeria haben sie auf jeden Fall den Schalter bereits umgelegt oder nehmen den eigenen Auf­ruf nicht so ernst: Eine italienische Grossfamilie fei­erte aus­ge­lassen. Richtig be­haglich. Könnte mich dran gewöhnen.

Hinweis: Am Freitag schreiben Gast­kolumnistinnen und Gastkolumnisten sowie Redaktorinnen und Redaktoren unserer Zeitung zu einem frei gewählten Thema.

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