Robert Bossart, Journalist, Altwis
Ohne jetzt zynisch erscheinen zu wollen: Irgendwie trauert man den letzten zwei Jahren sogar ein bisschen nach. Das Eingemummeltsein in dieses eine, alles überragende Thema. Virus hier, Virus da, Virus überall. Eingepackt in Maske, durchdrungen mit einem Impfstoff – nicht alle, aber viele –, zurückgedrängt in eine kleine, überschaubare (Homeoffice-)Welt. Irgendwie habe ich mich daran gewöhnt an das behagliche Pandemie-Leben.
Und nun heisst es plötzlich, wir sollten «die Hüllen fallen lassen» und dem «Virus mit offenem Visier begegnen», also ohne Maske. Das stand so in einer Zeitung, die davor auch monatelang von Abstand, Distanz, Vorsicht und Kontaktvermeidung geschrieben hatte. Dass man mich nicht falsch versteht: Ich gehöre nicht zur Gruppe der Massnahme- und Impfkritiker, sondern habe da stets artig mitgemacht. Aber dass wir nun auf einmal angehalten werden, uns die Maske vom Gesicht zu reissen und uns von Angesicht zu Angesicht zu begegnen... Etwas irritierend, diese Kehrtwende.
Als ich kürzlich wieder mal in einer gemütlichen italienischen Pizzeria tafelte, klebte ein handgeschriebener Zettel an der Toilettenwand: Bitte halten Sie die soziale Distanzierung ein. Soziale Distanzierung? Klar, das ist die Google-Übersetzung aus dem Englischen und war vom italienisch sprechenden Personal sicher gut gemeint. Aber auf Deutsch tönt das dramatisch. Nach Entfremdung, nach menschlicher Distanz. Also doch was dran an der inneren Pandemie? In der Pizzeria haben sie auf jeden Fall den Schalter bereits umgelegt oder nehmen den eigenen Aufruf nicht so ernst: Eine italienische Grossfamilie feierte ausgelassen. Richtig behaglich. Könnte mich dran gewöhnen.
Hinweis: Am Freitag schreiben Gastkolumnistinnen und Gastkolumnisten sowie Redaktorinnen und Redaktoren unserer Zeitung zu einem frei gewählten Thema.