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Luzern

Das Ehepaar Felix bauert in Aesch nach russischer Art

Die hiesige Landwirtschaft krankt, findet das Ehepaar Felix. Um das zu ändern, packen der Englisch-Lehrer und die Hausärztin seit bald zwei Jahren selber an – mit Idealismus und russischem Know-how.
Olga und Franz Felix mit Schafbock Prinz: «Die Landwirtschaft muss neue Wege gehen.» (Bild: Nadia Schärli, Aesch, 15. Januar 2019)

Raphael Zemp

«Für welches Tier wird in der Landwirtschaft besonders viel gearbeitet?» Franz und Olga Felix stehen vor ihrem Egg-Hof in Aesch, am Fusse des Lindenbergs. Im Hintergrund öffnet sich das Seetal, der Hallwilersee funkelt in der fahlen Wintersonne. Es pfeift der Wind. Franz Felix schlägt den Jackenkragen hoch, verstaut die Hände in den Taschen, und lächelt schelmisch – wohlwissend, bald einen guten Witz zu landen: «Für die Katz!»

«Wahnsinn, was im Lebensmittelanbau an Energie und Arbeit verschwendet wird», pflichtet ihm seine Frau Olga bei. Die geborene Russin ist im Umland von St. Petersburg gross geworden und erschrocken, als sie 2006 in die Schweiz zog: «Hier wird so viel Gift auf die Felder ausgebracht!» Mit viel Aufwand vermöge man so zwar kurzfristig Verbesserungen zu erzielen. «Auf die lange Dauer erweist man sich mit dieser Art der Landwirtschaft allerdings einen Bärendienst», glaubt Olga.

Ein Apfel pro Tag reicht nicht mehr

Denn: Ob für die Katz oder für den Bären, gesund ist die konventionelle Landwirtschaft keineswegs. Weder für die Natur, noch für den Menschen. Davon ist Olga Felix überzeugt, die in Meisterschwanden Teilzeit als Hausärztin arbeitet. Aber auch ihr Gatte Franz, der an der Berufsschule Englisch unterrichtet, ebenfalls Teilzeit. Sie führe nicht nur zu verseuchten, ausgelaugten Böden und einer geringen Biodiversität, sondern bringe auch eine Fülle von hochgezüchteten Nutzpflanzen hervor, die wohl schön aussähen, aber immer weniger Mineralstoffe und Vitamine enthielten. «Mit einem Apfel am Tag hält man daher den Doktor heute längst nicht mehr fern. Es braucht viel mehr deren fünf!», so Olga Felix.

Dabei weiss sie aus eigener Erfahrung, dass sich Lebensmittel auch ganz ohne Gift und grosse Gerätschaft anbauen lassen. Denn als die Sowjetunion im Jahr 1991 zusammenbrach, wirkte sich das auch auf die Landwirtschaft ihrer Nachfolgestaaten aus. Fabrikschlote rauchten nicht mehr, Förderbänder hatten aufgehört zu rattern – und so mangelte es bald an fast allem, was für eine intensive Landwirtschaft unabdingbar ist: Dünger, Pestizide, Geräte und Maschinen. Gleichzeitig war vielen das Einkommen weggebrochen, so dass nur eine Möglichkeit noch übrig blieb: Kohl, Rüben und Kartoffeln selber anpflanzen. Und so wurde auch Olgas Familie fortan zu Selbstversorgern, baute auf ihrer Datscha Gurken und Äpfel an, Kartoffeln und Beeren – wie so viele andere.

Dabei besann man sich alter Anbaumethoden, die aus einer Zeit datieren, als noch keine Stahlrösser die Felder umpflügten und Kunstdünger noch ein ferner Zukunftstraum war. Immer mit dem Ziel: grosse Ernte bei minimalem Aufwand. Daraus hat sich ein Wissensaustausch entwickelt, der in der russischsprachigen Welt bis heute andauert. Ein grosser Teil davon spielt sich in Internetforen ab, immer wieder erscheinen aber auch Fachbücher – etwa vom Gärtnerspezialisten Nikolay Kurdyumov. Zwei seiner Bücher hat das Ehepaar Felix kurzerhand gleich selbst ins Deutsche übersetzt (siehe unten).

Gebrochene Knochen schienen und Mist ausbringen

Angesichts der eigenen Erfahrungen war für Olga Felix in ihrer neuen Heimat schnell klar: «Hier muss etwas gehen!» Und was mit Versuchen im eigenen Garten startet, mündet schliesslich darin, dass das Ehepaar Felix im Sommer 2016 jenen 10 Hektaren grossen Hof übernimmt, auf dem Gatte Franz aufgewachsen ist. Seither sind die beiden Teilzeit-Bio-Bauern, halten eine Handvoll Schafe («unsere Rasenmäher») und ebenso viele Hühner. Vor allem aber bauen sie verschiedene Lebensmittel an: Birnen und Äpfel, Tomaten und Getreide – alles möglichst natürlich.

Nach Shakespeare und Co wird nun gemistet, auf einen geschienten Knochenbruch folgt zärtliches Wuscheln im Fell von Prinz, dem Schafsbock. Eine willkommene Abwechslung sei das Bauernleben – «aber kein Hobby. Dieser Betrieb ist unser zweites Standbein», betont Franz Felix.

Eines, das sich bis anhin gerechnet hat. Weil Felix’ ihre Produkte direkt vermarkten, aber auch, weil sie die Kosten möglichst tief halten. Vor dem Hof steht kein 100'000 Franken teurer High-Tech-Traktor mit Klimaanlage, sondern ein klappriges, bald 45 Jahre altes Traktörli. Die Sämaschine, sie ist noch älter. Überhaupt wird vieles zudem von Hand gemacht – oder zurückgestellt: «Denn vom Nichtstun geht die Natur nicht kaputt», weiss Olga Felix.

Oft ist es sogar so, dass kleine, gezielte Eingriffe viel mehr bewirkten, als brachiale Maschinenkraft und dauerschwingende Chemiekeulen. Davon sind Felix’ nicht nur überzeugt, sie können es auch beweisen. Denn während die Dürre des vergangenen Sommers so manchem Bauern tiefe Sorgenfalten auf die Stirn getrieben hat, gedieh ihre Obstplantage bestens, die Böden trockneten nicht aus – selbst ohne Bewässerung. Wie das? Nicht etwa durch Hexerei, nein, sondern durch simples Mulchen: Der Boden wird mit organischem Material wie etwa Stroh bedeckt. So entfällt das Jäten, und der Boden kann nicht nur die Feuchtigkeit besser speichern, er wird auch fruchtbarer.

Experiment und Ausweg aus Sackgasse

Dabei können Felix’ – Zweitjob sei Dank –, was vielen anderen Bauern verwehrt ist: experimentieren. «Ein Luxus, den wir zu schätzen wissen», sagt Franz Felix. Und der letztlich allen Bauern zugutekommen soll. Denn was sie auf ihrem Hof austüfteln, soll andere nicht nur zum Nachahmen animieren. Und es soll auch aufzeigen: Es gibt Auswege aus dem gegenwärtigen «Landwirtschafts-Rösslispiel», bei dem zwar viel Geld fliesse, aber kaum in die Taschen der Bauern. «Eine Entwicklung, die Wirtschaft und Staat begrüssen. Die aber weder im Sinn der Natur noch des einzelnen Menschen sein kann – ob Bauer oder Konsument», meint Franz Felix.

Felix’ wissen, dass ihr Experiment sich nicht eins zu eins auf jeden x-beliebigen Betrieb übertragen lässt. An ihrer Grundüberzeugung aber ändert dies nichts: In der Landwirtschaft muss etwas gehen!

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