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Luzern

Das Drücken der Früchte und andere Fürchterlichkeiten

Früchteabteil eines Supermarkts (Bild: Alex Spichale)

Hans Graber

Corona hat mich verändert. Nicht gerade zum Guten, dünkt mich. Wenn jemand in meiner Nähe mehr als zweimal niest, werde ich kribbelig. Wenn im Laden jemand verdächtig hustet, prüfe ich, ob meine Maske auch wirklich gut sitzt. Wenn mir jemand die Hand zum Gruss reicht, greife ich zögerlich hinein, hole aber nach der Verabschiedung aus dem Rucksack schnell das Sprühfläschchen mit dem Desinfektionsmittel. Es riecht neuerdings extrem übel, in der Drogerie haben sie wohl die Mixtur verändert. Aber immerhin, ich kann riechen, dass es schlecht riecht. Der Geruchssinn ist also intakt. Das können nicht alle von sich behaupten. Wieder andere leiden an Geschmacklosigkeit, nur sieht man es ihnen nicht an. Das heisst, manchmal sieht und spürt man es schon, aber das hat meist weniger mit dieser Seuche zu tun. Vorsichtshalber bleibe ich dennoch auf Abstand, obwohl ich doch mittlerweile Inhaber des digitalen Zertifikats bin.

Zusammengefasst: Die Unbekümmertheit früherer Jahre ist weg, wobei meine Frau jetzt wahrscheinlich sagen würde, dass ich ja noch nie sonderlich unbekümmert war. Ganz unrecht hat sie wohl nicht, aber auch auf bescheidenem Niveau sind noch Rückschritte möglich. Ich merke etwa, dass mich einiges, was mir früher egal war und dem ich nicht mal Beachtung schenkte, nun erheblich stört. Unter anderem, dass sehr viele Leute im Coop oder in der Migros alle Früchte und Gemüse betatschen und von allen Seiten begutachten und daran herumdrücken oder gar schnüffeln, ehe sie sich dann fürs vierte Exemplar entscheiden. Nein, auch das vierte wird wieder zurückgelegt. Das dritte und das fünfte waren doch besser.

Dass mich so was stört, beschäftigt mich. Ich habe diesbezüglich ja eigentlich wenig zu befürchten. Ein Rohköstler war ich nie. Mein Körper rebelliert dagegen. Wenn es zum Apéro Dips gibt, tunke ich in die Saucen lieber Brot als dieses Knackgemüse. Auf recht viele rohe Früchte reagiere ich kreuzallergisch, kriege einen dicken Hals, noch dicker als eh schon, zudem geschwollene Lippen, wie mit Botox aufgespritzt. Rohe Äpfel gehen nicht, Apfelschnitzli schon. Anders gesagt: Ich esse Früchte meist in gekochter Form, Gemüse sowieso (Ratatouille!). Insofern könnte ich gelassen bleiben, wenn die Dinger im Laden von Hinz und Kunz betatscht werden. Aber ich bleibe nicht gelassen, sondern rege mich innerlich auf. Und obendrein beschämt mich, dass ich selber zuweilen ja auch ein Töpli und Schnüffler und – nomen est omen – Grabscher bin. Bei Melonen zum Beispiel. Dass ich trotzdem meist die falsche Wahl treffe und vorwiegend für die Grünabfuhr einkaufe, wäre ein anderes Kapitel.

Corona hat mich verändert. Wenigstens merke ich es noch. Ich versuche deshalb, Gegensteuer zu geben und mich an den schönen Dingen des Lebens zu erfreuen, die es trotz allem immer noch reichlich gibt. In lichten Momenten, vielleicht bei einem schönen Weizenbier am Vorabend, rede ich mir jeweils gut zu, nicht so saublöd zu tun und wieder souveräner zu werden.

Leider aber holt einen die Realität jeweils schnell wieder ein. Ganz schlimm war es kürzlich in der Südostbahn Richtung Rapperswil, als einer im Abteil hinter mir unablässig Unmengen von Nasensekret einsaugte, ganz schwer ausatmete und sich zwischenhinein keuchend räusperte. Nach wenigen Minuten hatte ich genug, ich wechselte komplett erschlagen den Waggon. Beim Vorbeigehen stellte ich fest, dass im Abteil hinter mir gar niemand sass. Es war der Zugwagen, der diese Geräusche absonderte.

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