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Chor Zug fokussierte beim diesjährigen Jahreskonzert auf die Geschichten hinter den Songs

Chormitglieder erzählten berührende Erfahrungen aus ihrem Leben – passend zu den gesungenen Songs. Das Publikum im Gemeindesaal Steinhausen belohnte die originelle Idee mit Standing Ovations.

Mit der passenden Deko auf der Bühne: Der Chor Zug mit Band legt los.
Bild: Bild: Matthias Jurt (Steinhausen, 25 November 2022)

«Da war dieses Mädchen in der ersten Reihe, das Gesicht ganz ausdruckslos», erinnert sich ein Mitglied von Chor Zug. Der Mann hat auf dem wahnsinnig bequem aussehenden Ohrensessel auf der Bühne Platz genommen. «Doch während unseres Konzerts taute sie plötzlich auf – ihr Gesicht begann zu leuchten!» Wenige Tage nach jenem Auftritt in einer Klinik entdecke der Sänger eine Vermisstenanzeige in der Zeitung. Er erinnerte sich an das Mädchen und ging vom Schlimmsten aus. «Ihr leuchtendes Gesicht, das wird mir bleiben – immer.» Der Chor stimmt das Lied «Always» von Gavin Wigglesworth und Oliver Green an.

Es braucht Mut, sich als Pop- und Rockchor mit den tragischen Seiten des Lebens zu befassen. Umso mehr, als sich am letzten Freitagabend im Gemeindesaal Steinhausen die Mitglieder trauten, persönliche Geschichten aus ihrem Leben zu erzählen – passend zu den gesungenen Hits. Das Motto des diesjährigen Konzerts lautete wie der gleichnamige Eröffnungssong: «Story Of My Life» von der Band One Direction.

Texte rücken in den Vordergrund

«Die Idee dazu trage ich schon über 20 Jahren mit mir», erzählt Chorleiter Christof Tschudi nach dem Konzert. «Ich habe das Gefühl, dass wir in der Schweiz bei englischsprachigen Songs oft eher auf die Musik als auf die Texte achten.» Als er einmal bei einem Konzert die Texte übersetzte, kam danach ein älterer Herr zu ihm und meinte: «Jetzt verstehe ich die Songs endlich!» Dem Publikum ging es am letzten Freitag ähnlich – die Geschichtenerzählerinnen und Geschichtenerzähler stimmten es auf die darauffolgenden Songs richtiggehend ein und machten Lust, genauer auf den Text zu hören.

Die persönlichen Geschichten im Plenum zu erzählen, das war ein geglücktes Experiment, das mit Standing Ovations endete. Tschudi war sich vor dem Konzert nicht sicher, wie das Publikum reagieren würde. Er verrät:

«Als der Chor die Geschichten bei der Hauptprobe zum ersten Mal hörte, mussten einige weinen.»

Deshalb sprach Tschudi zu Beginn des Konzertes gleich eine Triggerwarnung aus: «Das Leben ist manchmal ungeschminkt, halten Sie sich fest.» Tatsächlich lief bei einem Stück auch dem Schreiber dieser Zeilen eine Träne über die Wange.

Chorleiter Christof Tschudi begrüsst das Publikum mit einer Triggerwarnung.
Bild: Bild: Matthias Jurt (Steinhausen, 25 November 2022)

Der Chor Zug hatte keine Mühe, mit seinen 53 Stimmen den knallgelb gestrichenen Saal zu füllen. Begleitet von einer Band bestehend aus Klavier, Bass und Schlagzeug läuft er spätestens gegen Ende der ersten Hälfte zur Höchstform auf – etwa beim Song «Something Just Like This» von The Chainsmokers/Coldplay.

Es ist erfrischend, diese Popsongs ohne die vielen technischen Effekte zu hören, mit denen sie für das Radio ideal aufbereitet wurden. Besucher Jonas Walker gestand in der Pause: «Ich mag Coldplay sonst eigentlich nicht so – die heutige Version des Songs gefiel mir aber gut.» Natürlich nicht ganz unbefangen, weil sein Vater im Chor singt, betont der Zuger begeistert: «Das ist eines der schönsten Konzerte dieser Formation seit langer Zeit.»

Ein weiterer Höhepunkt: Die erste Live-Aufführung des Songs «Sing mit mir», komponiert von Christof Tschudi, geschrieben während der Pandemie. Eine stimmungsvolle Liebeserklärung an das Singen und den Chor Zug, dem Tschudi schon lange stark verbunden ist: Bevor er 2019 die Chorleitung übernahm, war er Tenor und Solist.

Die Idee funktioniert

Bei den insgesamt sechs erzählten Geschichten ging es auch darum, wie die Krebsdiagnose der Tochter das Leben eines Chormitgliedes von heute auf morgen veränderte («Let It Go» aus dem Disneyfilm «Frozen») oder um die starken Gefühle, welche ein altes Sepia-Foto auslösen kann («When We Were Young» von Adele).

Sie wippen, nicken und tanzen fast mit: Der Chor Zug hat sichtlich Spass beim Musizieren. Ein Zeichen für ein sorgfältig ausgewähltes Programm.
Bild: Bild: Matthias Jurt (Steinhausen, 25 November 2022)

Der persönliche Zugang kam gut an. Voll des Lobes ist etwa Besucherin Susanne Schwab aus Oberrüti, die früher selber im Chor sang: «Die einfühlsam erzählten Geschichten sind aus dem Leben gegriffen, jeder kennt jemanden, der was Ähnliches erlebt hat.»

Stephan Hinners aus Obfelden, dessen Bekannter im Chor aktiv ist, gefiel der Eröffnungssong am besten: «Er bringt das Motto auf den Punkt und erinnert daran, dass jeder seinen eigenen Rucksack mitbringt – ich glaube, das vergessen wir heute manchmal.»

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