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Was mein Leben reicher macht

Kolumnistin Regula Waldmeier freut sich über die kleinen Dinge, die sie zum Schmunzeln bringen und in frohes Erstaunen versetzen. 

Regula Waldmeier, Gastkolumnistin bei der Urner Zeitung.
Bild: Philipp Zurfluh / Urner Zeitung

Unter dem Titel «Was mein Leben reicher macht», berichten Leserinnen und Leser der deutschen Zeitung «Die Zeit» von Episoden, die ihr Leben bereichern.

Ich rufe mir gerne in Erinnerung, was mein Leben reicher macht. Dabei geht es nicht um die Dankbarkeit, in einem demokratischen, wunderschönen, sicheren Land leben zu dürfen. In einem Land, in dem meine Rente jeden Monat gutgeschrieben wird, mit einem Gesundheitssystem, das zwar teuer ist, uns aber hervorragend versorgt, mit meinen herrlichen Freundinnen und Freunden und der Familie. Es sind die kleinen Dinge, die ich meine, die uns Freude bereiten, uns zum Schmunzeln bringen, uns in frohes Erstaunen versetzen, also zum Beispiel solche Erlebnisse:

Meine Tochter weilt mit Familie in den Ferien. Ihre Schwester, 40 Jahre alt, schaut zur Familienkatze Lotti, füttert sie und leistet ihr eine Stunde lang Gesellschaft. Als sei das das Natürlichste der Welt, berichtet mir die «Gaumerin», sie erzähle Lotti dabei Geschichten, sonst werde es ihr während dieser Stunde schon ein bisschen langweilig. Darüber musste ich noch lange schmunzeln.

Vor der Zugreise muss ich dringend die Bahnhoftoilette benutzen, diese ist blitzblank sauber. Beim Hinaustreten treffe ich auf den Reinigungsmann. Er strahlt voll Stolz übers ganze Gesicht, als ich ihm für die gute Arbeit danke. «Stinkt leider etwas», stellt er bedauernd fest, «Kioskfrau geht immer rauchen.»

Auf den Bahngleisen der Bahnhofstrasse Zürich liegt ein Mann, er scheint verwahrlost zu sein, irgendwie weggetreten. Die Menge starrt ihn erschrocken an, das Tram naht, du meine Güte, man müsste die Polizei rufen, denke ich. Zwei junge Frauen, früher hätte man Mädchen gesagt, gehen unbekümmert auf ihn zu, stupsen ihn an. «Sie müssen aufstehen, das Tram kommt», teilen sie mit. «Aha», sagt der Mann, «Danke», steht auf und entfernt sich.

Meine grössere Grosstocher Paula, 10 und ein halbes Jahr alt, wäre mit den Hausaufgaben am liebsten fertig, bevor sie damit begonnen hat. Zu verlockend die Aussicht auf das Herumhängen mit der Freundin. Schnell soll es also gehen, fürs Schönschreiben bleibt keine Zeit. Ob der Lehrer das letzte Mal denn nicht geschimpft habe, als sie so hässlich geschrieben habe, will ich wissen. Paulas lakonische Antwort, der Lehrer wisse gar nicht, dass sie schön schreiben könne.

Extrem reicher wurde mein Leben durch das Theaterspielen unter der Regie von Lory Schranz im Stück «Fremd sein», mit Migrantinnen und Migranten aus so vielen Ländern, den Schweizerinnen und Schweizern, dem Chor unter der Leitung von Franziska Hach-Herger, den Musikern. Die Lieder begleiten mich heute noch. Ich denke an die Menschen, die hier ankommen, fremd sind, anders aussehen als wir, mit einer Sprache, die sie nicht kennen, die sich integrieren müssen und die nicht aufgeben.

Bereichernd die Aussage: «Und wenn ich müde werde, habe ich gelernt, eine Pause einzulegen, anstatt aufzugeben.»

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