notifications
Zug

Bund erleichtert Zugang zu Psychotherapie – Zuger Psychologin freut sich mit Vorbehalt

Ab dem Sommer des nächsten Jahres können alle selbständigen Psychotherapeuten ihre Leistungen über die Krankenkasse abrechnen. In Psychologie-Kreisen ist man hocherfreut darüber – doch es bleiben einige Ungewissheiten.
Ab Juli 2022 können selbständige psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten ihre Leistungen über die Grundversicherung abrechnen. (Symbolbild: Remo Nägeli)

Linda Leuenberger

Der Bundesrat hat kürzlich über einen Modellwechsel in der Psychotherapie entschieden: vom Delegations- zum Anordnungsmodell.

In psychologischen Fachkreisen ist man über diesen Schritt hocherfreut, wie einer gemeinsamen Medienmitteilung der Berufsverbände zu entnehmen ist. Auf Anfrage sagt Philip Thüler, Kommunikationsverantwortlicher der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP), dass der Beschluss des Anordnungsmodells ein wichtiger Meilenstein für Psychologen in der Schweiz sei. Er sagt:

«Wir haben uns während vielen Jahren für die Ablösung des Delegationsmodells eingesetzt.»

Noch vor der Jahrhundertwende habe es diesbezügliche Anläufe gegeben. Damals sei aber die Ausbildung für psychologische Psychotherapeuten nicht hinreichend geregelt gewesen. «Das hat sich mit dem 2013 in Kraft getretenen Psychologieberufegesetz aber geändert.»

Niederschwelliger Zugang zu Psychotherapie

Was ist von dem Modellwechsel nun zu erwarten? «Es gibt viele Menschen in psychischer Not, die aus finanziellen Gründen auf eine Therapie verzichten müssen. Das geht aus einer Umfrage der FSP hervor», sagt Philipp Thüler. Derselben Umfrage ist zu entnehmen, dass zwei Drittel der Psychotherapeutinnen Neuanmeldungen aus Mangel an Kapazitäten abweisen müssen. «Wenn die Leistungen von der Grundversicherung gedeckt werden, erhalten erstens mehr Menschen die psychotherapeutische Hilfe, die sie brauchen. Zweitens wird es für psychologische Psychotherapeutinnen eher möglich, in die Selbständigkeit zu wechseln oder ihre Pensen zu erhöhen», sagt Philipp Thüler. So werde, hofft er, die Dichte an Psychotherapeuten in der Schweiz wachsen und die Last auf mehreren Schultern verteilt. Er ist überzeugt:

«Mit dem Anordnungsmodell kann für die breite Bevölkerung ein einfacherer und früherer Zugang zu Psychotherapie gewährleistet werden.»

Der Tarif gibt den Ausschlag

Für eine Entwicklung in diese Richtung ist aber eines unabdingbar: Ein angemessener Tarif, der für die Psychotherapeuten kostendeckend ist. Und diesen müssen die Psychologieverbände erst noch mit den Krankenkassen aushandeln. Im Worst-Case-Szenario fällt dieser so niedrig aus, dass selbständige Psychotherapeuten nicht von ihrer Arbeit leben können und sich aus dem Beruf zurückziehen.

Das ist auch der Grund, warum eine Zuger Kinder- und Jugendpsychotherapeutin, die gerne anonym bleiben möchte, dem Anordnungsmodell mit gemischten Gefühlen entgegenblickt. Sie ist eine von fünf Zuger Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen, die schon in der Vergangenheit auf die prekäre Lage in der Kinder- und Jugendtherapie hingewiesen haben. Sie wünsche sich, dass die Verhandlungen über den Tarif zugunsten der Psychotherapeuten ausfallen.

Sollte es den Berufsverbänden nämlich gelingen, einen guten Tarif auszuhandeln, sei sie positiv gestimmt, dass mehr Psychotherapeutinnen den Schritt in die Selbständigkeit wagen. Und das sei dringend nötig, denn im Kanton Zug sei die Therapeutendichte für Kinder und Jugendliche gering. Bevor sich die Situation verbessere, rechnet die Therapeutin aber mit einem grösseren Ansturm auf die Praxen jener Psychologinnen, die schon heute selbständig tätig sind:

«Mit dem Anordnungsmodell werden die ohnehin langen Wartezeiten noch länger. Jetzt gilt es abzuwarten und das Beste zu hoffen.»

Kritik von Seiten der Psychiater

Auch der Dachverband der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte in der Schweiz (FMPP) äussert Bedenken. Grundsätzlich sei das Anordnungsmodell auch für die Psychiaterinnen und Psychiater ein gangbarer Weg, sagt Fulvia Rota, Co-Präsidentin der FMPP: «Wir haben in der Vernehmlassung um das Anordnungsmodell auf verschiedene Punkte hingewiesen. Diese wurden im finalen Beschluss auch berücksichtigt.»

Trotzdem werde sich weisen müssen, ob der Modellwechsel tatsächlich zu einer besseren Versorgung führen werde. «Es gibt noch viele Ungewissheiten, der Wechsel bringt einige komplexe Fragen mit sich», sagt Rota. «Werden sich Psychologen auch dort niederlassen, wo Versorgungsengpässe herrschen? Werden sie auch schwer kranke Personen behandeln?»

Ein weiterer heikler Punkt sei die Kostenentwicklung. Der Bund geht von 170 Millionen Mehraufwand aus – Rota sagt aber, das sei zu tief. Sie befürchtet, dass immer mehr Psychologen in die Grundversicherung drängen, zumal es noch keine Zulassungsbeschränkungen für sie gibt – wie in der Medizin unter anderem den Numerus Clausus. Fulvia Rota zeigt auf: «Auch wenn durch eine besser zugängliche Psychotherapie anderswo in der Gesellschaft Kosten gespart werden können, wird das Versicherungsbudget für Psychotherapie zusätzlich stark belastet. Dies hätte steigende Krankenkassenprämien zur Folge.» Allerdings könne die Schweiz gerade in Bezug auf die psychische Gesundheit einen gewissen Kostenanstieg verkraften.

Kommentare (0)