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Uri

Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse

Die Debatte um das Frauenstimmrecht waren keine Ruhmesblätter für die beiden Urner Korporationen, findet Kolumnist Elias Bricker.
Elias Bricker (Bild: PD)

«Wir sagen uns manchmal hier oben, wir sind so Bürger zweiter Klasse». So brachte ein Bristner Anfang der 1970er-Jahre die Befindlichkeit der Bevölkerung im Maderanertal auf den Punkt. Die Zukunftsaussichten des Tals sahen damals nicht rosig aus: Die Jungen wanderten ab, die Strasse nach Amsteg präsentierte sich in schlechtem Zustand und die Alp- respektive die Landwirtschaft rentierte kaum noch. Es sorgte für Unmut, dass der Bund damals vor allem die grossen Talbetriebe statt die kleinen stotzigen Bergheimwesen mit Subventionen unterstützte.

Der Bristner, der sich als «Bürger zweiter Klasse» fühlte, kommt im Film «Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind» zu Wort. Der 1974 veröffentlichte Dokumentarfilm gilt heute als Klassiker des Schweizer Films. Regisseur Fredi M. Murer zeigte darin den Alltag der Bevölkerung in der Göscheneralp, im Schächental und im Maderanertal – im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne. Im Vorfeld der Filmaufnahmen hatte Fredi M. Murer mit unzähligen Personen in den drei porträtierten Tälern Interviews geführt. Murer zeichnete all diese Gespräche mit einem Tonband auf und verwendete letztlich einen kleinen Teil dieser Aufnahmen für seinen Film.

Im vergangenen Jahr wurden diese Tonaufnahmen digitalisiert, einige davon sind nun im Internet öffentlich zugänglich. Die Aufnahmen wecken bei vielen älteren Urnerinnen und Urnern sicher Erinnerungen. Für Historiker sind Murers Ton- und Filmaufnahmen einmalige Schätze. Sie geben auf eindrückliche Art und Weise den Alltag und die Befindlichkeiten der Bergbevölkerung jener Zeit wieder und ermöglichen einen einzigartigen Zugang in eine vergangene Epoche. Nicht zuletzt des-halb befassen sich inzwischen auch das Urner Institut «Kulturen der Alpen» sowie Studierende der Universität Luzern mit den Zeitdokumenten.

Drei nun online veröffentlichte Tonaufnahmen geben die Diskussionen anlässlich der Urner Korporationsgemeinde im Jahr 1973 wieder. Auf dem Lehnplatz in Altdorf ging es damals hitzig zu und her. Der Engere Rat wollte das seit 1971 auf Bundesebene geltende Frauenstimmrecht auch auf Stufe Korporation respektive Bürgergemeinden einführen. Doch der Engere Rat mit Präsident Leo Arnold hatte die Rechnung ohne das Volk gemacht: Ein Redner nach dem andern stand in den Ring und wetterte gegen das Frauenstimmrecht – mit wenigen Ausnahmen. Die Frauen hätten kein Interesse am Stimmrecht, wurde argumentiert. Sie sollten sich besser im Schul- und Sozialwesen engagieren, bei der Korporation sei man auf die Frauen nicht angewiesen. Die vorgebrachten Argumente sind aus heutiger Sicht an tragischer Komik kaum zu überbieten.

Die Korporation Uri erwies sich in Sachen Frauenstimmrecht noch lange als widerspenstig. 1981 verwarfen die Korporationsbürger das Frauenstimmrecht ein zweites Mal, 1987 gar ein drittes Mal. Ein 80-jähriger Altdorfer hatte die dritte Abstimmung mit einer Unterschriftensammlung erzwungen und wurde dafür ausgepfiffen. Erst Anfang Mai 1991, zwei Jahre nachdem das Bundesgericht die Kantone Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden zur Einführung des Frauenstimmrechts zwang, stimmten die Urner Bürger an der Korporationsbürgergemeinde der Gleichberechtigung zu – mit grosser Mehrheit, aber zähneknirschend und mit der Faust im Sack. Drei Wochen später gewährten auch die Bürger der Korporation Ursern ihren Frauen das Wahl- und Stimmrecht.

Die Debatte um das Frauenstimmrecht waren keine Ruhmesblätter für die beiden Urner Korporationen. Den Urnerinnen muss es damals ergangen sein wie dem eingangs erwähnten Bristner aus Fredi M. Murers Film: «Wir sagen uns manchmal, wir sind so Bürger zweiter Klasse – äxgüsi, Bürgerinnen.»

Die Tonaufnahmen von Fredi M. Murer sind unter www.wirbergler.ch zugänglich.

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