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Gastkolumne Stadtentwicklung

Klimanotstand? Strommangellage? Der Entzug ist eine Chance

Die Energiekrise hat auch gute Seiten. Sie befördert eine gesellschaftliche, politische und technologische Kulturwende. Dafür braucht's aber Massnahmen und ein Umdenken bei vielen von uns.

Mental befinden wir uns immer noch in einem «Alles ist möglich»-Modus, und daran halten wir fest. Eigentlich müsste jedoch klar sein: Entzug ist angesagt. Wir haben uns so sehr daran gewöhnt, das ganze Jahr über im T-Shirt am wohltemperierten Arbeitsplatz zu sitzen, dass uns dies heute als Recht erscheint. Mittlerweile ist zwar bei den meisten ins Bewusstsein gedrungen, dass Klimanotstand und Strommangellage eine Realität sind. Die Konsequenz? Dann produzieren wir Strom eben erneuerbar. Wind und Sonne gibt es ja genug. Diese Haltung ist eine verpasste Chance und gefährdet die Gesundung, die ohne Entzug nicht möglich ist.

Der Strom fliest jederzeit durch die Leitungen. Noch.
Bild: Bild: Pius Amrein (9. September 2022) 

Energie ist nicht unser einziges Problem

Die Energiemangellage droht, alle anderen Probleme aus unserem Bewusstsein zu verdrängen. Aber die Wohnungsnot in Luzern – die Leerwohnungsziffer ist zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder unter die Ein-Prozent-Marke gefallen – wird nicht besser durch Solarkraftwerke in den Walliser Alpen. Der Feierabendstau in Richtung Luzern – nur ein kleiner Teil davon sind übrigens E-Autos – löst sich selbst dann nicht auf, wenn alle tauglichen Dächer der Stadt mit Solarpanel bedeckt sind – die beiden Initiativen der Jungen SVP und der Grünen Luzern machen dies deutlich.

Zusammen denken bringt weiter

Der Handlungsdruck im Bereich Energie ist unbestreitbar – in vielen anderen Bereichen jedoch auch. Gerade deshalb benötigen wir Zeit für Innehalten und Reflexion. Denn nur so können sich uns die Möglichkeiten erschliessen, wie Luzern nicht die eine Herausforderung auf Kosten der anderen meistert, sondern Synergien nutzen kann. Fragen wir uns also: Wie viel Energie wird für was benötigt? Was ist elementar? Wo besteht Einsparpotenzial? Wie stellen wir es an, dass Kreislaufwirtschaft, Biodiversität und alternative Mobilitätskonzepte die Lösung der Energieprobleme nicht behindern, sondern unterstützen?

Im Kleinen geschieht dies bereits. So zum Beispiel, wenn die Stadt die Dächer von Bushaltestellen begrünen oder für Solarpanels nutzen will. Doch auch im Grossen kann durch das Gemeinsame Energie eingespart werden, mit tragfähigen Lösungen, die in der Bevölkerung über den notwendigen Rückhalt verfügen. Ohne Verzicht geht es nicht. Aber es muss kein kalter Entzug sein: Der Zugang zu gemeinschaftlich genützten Räumen fördert die Nachbarschaft und macht es einfacher, die eigene Wohnfläche zu verkleinern. Funktionierende öffentliche Nahverkehrssysteme sind eine Voraussetzung dafür, dass Menschen bereit sind, das eigene Auto daheim stehen zu lassen oder ganz darauf zu verzichten. Werden Gebäude so gebaut, dass sie in 30 Jahren mit geringem Aufwand für andere Zwecke umgebaut werden können, so tut dies niemandem weh, spart aber in Zukunft Energie, Material und Kosten. Doch dies muss von der Politik eingefordert werden.

All die Massnahmen führen zu einem ganzheitlichen Verständnis und nutzen die Energiekrise als Chance für eine nachhaltige gesellschaftliche, politische und technologische Kulturwende hin zum synergetischen und verantwortungsbewussten Handeln.

*Prof. Dr. Peter Schwehr ist Leiter des Kompetenzzentrums Typologie & Planung in Architektur der Hochschule Luzern – Technik & Architektur.

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