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Zug

Beim Gewerbegebiet Städtlerallmend ist der Wandel die einzige Konstante

Das Gewerbegebiet Städtlerallmend zwischen den Ortschaften Cham und Steinhausen hat einiges zu bieten.
Die Städtlerallmend hat sich bis heute enorm entwickelt. Schätzungsweise 1200 Firmen sind dort gemeldet, und sie bietet 6500 Personen eine Arbeitsstelle. (Bild: Jan Pegoraro (Cham, 5. November 2021))
Die Städtlerallmend in den 1960er-Jahren: In der Mitte des Bildes ist eine noch einsame Halle zu sehen, oberhalb der Strasse entsteht die Überbauung Alpenblick. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv (15. Setpember 1962))

Raphael Biermayr

Raphael Biermayr

Die Städtlerallmend ist erst kürzlich wieder in den Fokus gerückt worden. Auf der Brache bei der Alpenblick-Kreuzung und den angrenzenden Parzellen soll eine grosse Überbauung entstehen. Diese wird – vorbehältlich der Zustimmung der Bevölkerung zum Bebauungsplan – drei Bürogebäude der Heinz Häusler AG sowie ein Coop-Center umfassen. Jenes beinhaltet einen Lebensmittelladen sowie das Möbelgeschäft Livique, den Heimwerkermarkt Bau+Hobby, ein Fitnessstudio und ein Restaurant. Man darf das – obwohl die Verantwortlichen das natürlich nie so ausdrücken würden – als Kampfansage an das Einkaufszentrum Zugerland betrachten, wenngleich Livique und Bau+Hobby schon heute im Industriegebiet Städtlerallmend zu finden sind.

Industriegebiet? So nennt man das verwinkelte Areal landläufig noch immer. Dies, obwohl der Anteil an Industrie schwindet und durch Büroräumlichkeiten abgelöst wird. Georges Helfenstein will diese Feststellung nicht unwidersprochen stehen lassen. Der Chamer Gemeindepräsident ist auch Vorsteher der Netzwerkgruppe Städtlerallmend (Eigenschreibweise: Städtler Allmend), in der alle involvierten Stellen vertreten sind. «Wir haben in diesem Gebiet immer noch viel produzierendes Gewerbe», sagt er und nennt als Beispiele die Paul Gisler AG, Schleuniger, Minkels und Desa. Die Aufzählung ist nicht abschliessend. Es ist Helfenstein ein Anliegen, das Areal nicht nur auf den Helix-Komplex zu reduzieren, wo die Amag im Jahr 2019 fast 900 Arbeitsplätze bezog und somit über eine grosse Strahlkraft verfügt. Die Dynamik im Gebiet sei im Allgemeinen gross, so dürfe man auch das Sport- und Tenniscenter und anderes nicht vergessen. «Wir haben kürzlich einen Informationsanlass durchgeführt, an dem fast 70 Personen teilgenommen haben», sagt Helfenstein. Im Zentrum stand die eingangs erwähnte Überbauung auf der Brache, Stephan Häusler von der Heinz Häusler Immobilien AG stellte das Projekt im Detail vor. Dabei seien von Gewerbetreibenden auch Bedenken geäussert worden, vor allem, was die Verkehrssituation anbelangt.

Mehr Verkehr ist zu erwarten, dieser sei aber verkraftbar

«Der Verkehr ist immer ein Thema, er war es schon, als die Amag auf die Städtlerallmend zog», sagt Helfenstein. Die Befürchtung eines Kollapses hätte sich nicht bewahrheitet. «Zudem hat die Alpenblick-Kreuzung noch Potenzial», sagt Georges Helfenstein und stützt dabei auf Gutachten der kantonalen Planer ab. Eine Massnahme zur Abführung des Verkehrs ist der geplante Ausbau des Knotens Alpenblick. «Dem Gemeinderat ist es wichtig, dass die Firmen überzeugende Verkehrskonzepte einreichen, in der auch die ÖV-Nutzung und der Langsamverkehr vorkommen, es sind schliesslich nicht unendlich Parkplätze verfügbar.» Weil Coop schon heute einen Bau+Hobby und ein Möbelgeschäft auf dem Areal betreibt, sei nicht mit sehr viel mehr Verkehr zu rechnen, ist Helfenstein überzeugt. Zudem werde Coop den Warenumschlag unterirdisch vornehmen. «Es ist ein cooles Projekt», sagt der Chamer Gemeindepräsident, der in diesem Zusammenhang auch die geplante Grünfläche auf dem Dach des künftigen Einkaufscenters erwähnt.

Abgeschlossen sein wird die Entwicklung der Städtlerallmend mit der Überbauung der letzten freien grossen Fläche keineswegs. Der Wirtschaftsraum befindet sich naturgemäss im steten Wandel, wie auch ein Blick in die Geschichte verdeutlicht (siehe Text am Ende). «Es tut sich einiges», sagt Helfenstein und ergänzt, ohne auf Einzelheiten einzugehen: «Es gibt noch Flächen mit Potenzial durch Verdichtung.» Was aus Sicht der Gemeinde Cham einzig feststehe: Gewohnt werden soll in der Städtlerallmend nicht. «Es ist und bleibt ein Arbeitsgebiet.»

Verdichtungsmöglichkeiten bestehen auch für den kleinen Teil des Gebiets, der auf dem Boden der Gemeinde Steinhausen liegt: zwischen Bahngleis und Hinterbergstrasse. Laut dem Steinhauser Bauchef Markus Amhof ist es denkbar, dass Grundeigentümer in die Jahre gekommene Gebäude durch grössere ersetzen werden. Konkrete Pläne dafür lägen derzeit bei der Bauabteilung Steinhausen keine vor. Für Steinhauser sei das Areal nicht die Städtlerallmend, sondern sie zählten es zur Gewerbezone Hinterberg. Die einzige S-Bahn-Anbindung, die Haltestelle Rigiblick, liegt auf Steinhauser Hoheitsgebiet. Deshalb bedarf es gemäss Markus Amhof häufig Absprachen zwischen den beiden Gemeinden – aber auch dem Kanton. Denn jener ist der Eigentümer der Hinterbergstrasse, die als Verbindungsstrasse durch das Gebiet und über die Autobahn führt. Der Gemeinderat Amhof nennt ein anschauliches Beispiel für die Verzahnung: «Von Mietern auf der Städtlerallmend bestand ein Interesse an einer direkten Fusswegverbindung zur S-Bahn-Haltestelle Rigiblick mit einer Mittelinsel beim Fussgängerstreifen auf der Kantonsstrasse. Deshalb ­waren für wenige Meter drei Behörden involviert, der Schriftwechsel war entsprechend zahlreich.» Die Arbeiten auf Steinhauser Boden könnten derzeit nicht ausgeführt werden, weil der Grundeigentümer sein Einverständnis nicht gegeben habe.

Für E-Trottinette soll es keine Gemeindegrenze geben

Auf behördlicher Ebene sei die Zusammenarbeit indes hervorragend. Das gelte über klassische Amtsgeschäfte heraus. Amhof erklärt, dass man die auf Chamer Gemeindegebiet betriebenen, kostenpflichtig ausleihbaren E-Trottinette derzeit nicht bis zur Haltestelle Rigiblick nutzen kann – beziehungsweise nur mit einem grossen Nachteil: «Entweder man stellt die Trottis innerhalb der Chamer Grenzen ab, oder man stellt sie in Steinhausen ab und zahlt permanent weiter, weil man sich dort nicht ausloggen kann.» Mit Unterstützung der Chamer Amtskollegen seien nun Gespräche mit dem Anbieter der Gefährte aufgenommen worden. Dies, um den Perimeter die paar Meter über die Gemeindegrenze hinaus zur Haltestelle zu erweitern. Markus Amhof ist guter Dinge, dass das klappt. So dürfte die Chamer Städtlerallmend beziehungsweise dieser Teil des Steinhauser Hinterbergs auch aus Trottinett-Fahrer-Optik wohl bald als ein Raum betrachtet werden.

Vom Sumpf- zum Gewerbegebiet – die Geschichte

Die Städtlerallmend war lange vor allem eine sumpfige Ödnis ohne besonderen Wert. Bis die Gemeinde Cham beschloss, mehr Industrie anzusiedeln, um sich steuerlich nicht von einzelnen Grossfirmen abhängig zu machen. So steht es in Hermann Steiners Ortschronik, die überdies verrät, dass die Firma Gebrüder J. und A. Gretener sich als Erste auf der Städtlerallmend niederliess. Der Hersteller von Textilspulen war ab 1965 der Vorläufer der Velofabrik Gretener.

In den 1970er-Jahren ging es vor dem Hintergrund der entstehenden Autobahn von und nach Gisikon/Root Schlag auf Schlag. 1972 zog Balz Ettmüller mit seiner Citroën-Vertretung aus Baar nach Cham, ein Jahr später eröffnete die Autorondo AG, die spätere Amag Retail. Im selben Jahr reagierte die Post mit einer Paketsammelstelle für Geschäftskunden auf den Zuwachs. Auch die Immobilienfirmen und Generalunternehmer liessen nicht lange auf sich warten. 1980 verkaufte die damals noch in Baar beheimatete Aula AG Gewerbe- und Büroflächen im Stockwerkeigentum, wie auf Zeitungsinseraten zu sehen ist. Die gleiche Quelle verrät, dass auch die Alfred Müller AG von Baar aus auf der Städtlerallmend aktiv wurde. So warb sie beispielsweise 1987 für Mietobjekte in ihrem neuen Büro- und Gewerbegebäude an der Hinterbergstrasse. Der Quadratmeterpreis betrug je nach Geschoss 60 bis 90 Franken – im Jahr.

Eine Firma von Weltruf, die ein tragisches Ende fand

Währenddessen hatte die PPC Electronic AG an der Riedstrasse ihren weltweiten Siegeszug angetreten. Die Produzentin von Halbleiterplatten erreichte im Jahr 2000 einen Umsatz von 120 Millionen Franken und beschäftigte über 500 Angestellte. Nach den Anschlägen in den USA 2001 brach die Nachfrage ein, und die Firma darbte bis zum Konkurs im Jahr 2012. Da hatte das Gewerbegebiet bereits ein anderes Gesicht angenommen: als Einkaufsort. Dies, obwohl die Gemeindepräsidenten von Steinhausen und Cham 2001 öffentlich und voller Überzeugung verkündet hatten, dass die Städtler­allmend «gebaut» sei und insbesondere keine weiteren Grossverteiler mehr zugelassen werden sollten. Wie so oft hatte die Marktwirtschaft anderes im Sinn. Nur drei Jahre später baute Coop die bestehende Tankstelle mit Verkaufsladen und kündigte Pläne für einen grossen Lebensmittelladen an. 2008 eröffnete Aldi in der ehemaligen Velofabrik einen weitläufigen Laden, im Jahr 2019 zog Lidl nach. Und als Nächstes wird ein Coop-Einkaufscenter entstehen.

Die kantonale Volkswirtschafts­direktion schätzt, dass auf der Städtler­allmend derzeit 1200 Firmen und 6500 Arbeitsplätze vorhanden sind.

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