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Uri

Beichten im Kanton Uri: Mehr als nur Büssen

Die Urner Beichtstühle werden nicht mehr häufig aufgesucht. Wer es dennoch tut, erhält nebst Vergebung noch weiteres Guttuendes.
Beichten müssen heute nicht mehr zwingend im Beichtstuhl stattfinden. (Symbolbild: Urs Flüeler, Bürglen, 15. Februar 2015).

Lucien Rahm

Etwas Nervosität lässt sich vor diesem Besuch in der Kirche durchaus wahrnehmen. Der Grund für mein heutiges Aufsuchen des Gotteshauses: meine erste Beichte. Es ist zwar nicht so, dass es in der Vergangenheit nichts zu beichten gegeben hätte. Obwohl locker katholisch erzogen, drängte sich die Idee, einem Pfarrer von den eigenen Verfehlungen zu berichten, jedoch nie auf.

Anders verhielt es sich noch vor rund 60 Jahren. Die Beichte musste regelmässig abgelegt werden; derart regelmässig, dass man bisweilen auch kleinere Sünden erfunden habe, um den Beichtstuhl nicht mit «leeren Händen» betreten zu müssen, wie mir Verwandte der vorangehenden Generation erzählen.

In meinem Fall sieht die Sache eher gegenteilig aus: In über drei Jahrzehnten beichtfreien Daseins sind einige Handlungen zusammengekommen, die gemäss den Zehn Geboten als Sünden gelten. Ich muss mich bei meiner Beichte also gar auf einen Ausschnitt meines Katalogs beschränken. Ich lege mich schliesslich auf ein mehr oder weniger immer noch aktuelles Vergehen fest, mit welchem ich an diesem Nachmittag den Beichtstuhl einer Urner Kirche betrete. Den Termin mit dem Pfarrer konnte ich am Vortag per Telefon vereinbaren – der passende Zeitpunkt war rascher gefunden als beim Coiffeur.

Mehr Sünden als geplant

Beim Eintreten in die Kirche sitzt der Priester bereits auf einer Kirchenbank neben dem Beichtstuhl. Als er mich erblickt, begibt er sich in diesen hinein und gibt mir währenddessen wortlos zu verstehen, dass ich es ihm gleichtun soll. Als ich mich in der linken Kammer hingekniet habe, beginnt der Pfarrer den Beichtvorgang mit eröffnenden Worten in Hochdeutsch, die mit einem «im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen» enden. Er erteilt mir das Wort und ich muss ihm als Erstes gestehen: Ich habe das zuvor noch nie gemacht und kenne den Ablauf nur in den allergröbsten Zügen. Der Pfarrer reagiert gelassen. «Am einfachsten ist es, wenn wir einfach die Zehn Gebote durchgehen», sagt er mir durchs Holzgitterfenster hindurch.

Diese Vorgehensweise fördert gleich noch einige Vergehen mehr ans Tageslicht. «Wie sieht es mit Kirchenbesuchen aus?», möchte er von mir wissen. Ich muss zugeben, länger nicht mehr einem Gottesdienst beigewohnt zu haben. «Wie ist es mit dem Fluchen unter Verwendung von Gottes Namen?» Auch hierbei kann ich mich nicht ganz unschuldig geben, ein «Gopferdammi» ist mir sicherlich auch schon rausgerutscht.

Busse: Ein «Vater unser»

Mein Kernanliegen kommt unter Gebot Nummer sieben zur Sprache: «Du sollst nicht stehlen.» Wobei es «Diebstahl» nicht ganz trifft. Bei der Auflösung unserer Band vor einigen Jahren gelang beim Räumen des Probelokals das Gesangsmikrofon eines Kollegen fälschlicherweise in meinen Besitz. Ich kam bisher nie dazu, es ihm wieder auszuhändigen, und er vermisst es offenbar auch nicht. «Dann würden wir das wieder zurückgeben, gell», fordert mich der Pfarrer auf, ich stimme ihm zu.

Für meine Vergehen lässt er mich glimpflich davonkommen: Ein «Vater unser» ist zu beten. Nach einem gemeinsamen Schlussgebet vergibt mir der Pfarrer meine Sünden und ermahnt mich nochmals, das Mikrofon zurückzugeben. Das anschliessende Aufstehen aus der knienden Position, die ich zwischenzeitlich wegen dessen Schmerzlichkeit in eine Hockstellung umwandeln musste, dauert einige Sekunden. Verschwitzt – ob aufgrund der Wärme im Beichtstuhl oder der Anspannung, ist unklar – verlasse ich die hölzerne Kammer, begebe mich in eine Kirchenbank und sage – soweit es mein Gedächtnis noch erlaubt – das verlangte «Vater unser» auf. Und irgendwie scheint das Gespräch in diesem Ehrfurcht fordernden Rahmen zu wirken. Mein Fehlverhalten zu korrigieren, nehme ich mir danach ausdrücklich vor.

Allzu häufig kommen solche Szenen im Kanton Uri heute nicht mehr vor. «Es sind einzelne wenige, die mit einer gewissen Regelmässigkeit beichten kommen», sagt der Altdorfer Pfarrer Daniel Krieg. Ein bis zwei würden monatlich, vier oder fünf Gläubige etwa vierteljährlich zur Beichte vorbeikommen. Zunächst habe er die Möglichkeit des Beichtens jeweils vor dem Gottesdienst angeboten. «Da kam aber niemand.» Problematisch könnte dabei gewesen sein, dass andere Kirchenbesucher die Beichtenden dabei sehen könnten. Einige würden daher wohl auch in andere Gemeinden oder in nahe gelegene Kloster gehen, um ihre Vergehen offenzulegen, vermutet Krieg. So würden auch einzelne Personen aus Aussengemeinden zu ihm kommen.

Beichte auch im Gesprächszimmer möglich

Das Vorgehen läuft dabei bei Pfarrer Krieg nicht immer nach dem klassischen Muster ab. «Die älteren Besucher bestehen noch darauf.» Bei Jüngeren fände die Beichte aber oftmals im Gesprächszimmer statt. Ausgangspunkt müsse auch nicht zwingend der Wunsch nach einer Beichte sein. «Oft geht es einfach darum, mit jemandem über seine Probleme zu reden.» Von sich aus weise Krieg die Person innerhalb des Gesprächs manchmal darauf hin, dass sie nun eigentlich gebeichtet habe, und ob sie dafür eine Absolution wünschen würde.

Um was es in den Gesprächen inhaltlich geht, kann Krieg aufgrund seiner Schweigepflicht nicht genau sagen. Häufig stünden aber Schwierigkeiten mit Mitmenschen, die man durch Worte oder Handlungen verletzt hat, im Zentrum, selten seien es Schwierigkeiten im Beziehungsbereich. Manchmal seien es auch Dinge, die schon länger zurückliegen würden und einen immer noch belasten. Durch ein Gespräch könne er ermöglichen, diese Last abzulegen, sagt Krieg.

Bussfeier führte zu Rückgang

Anders als in Altdorf, wo fixe Beichtzeiten noch vor Weihnachten und Ostern angeboten werden, besteht diese Möglichkeit in der Pfarrei Schattdorf jeden Sonntag um 9 Uhr. «Das wird aber eher selten genutzt», sagt Pfarrer German Betschart. Auch er nehme die Beichte heute vermehrt auf Anfrage hin ab. Pro Monat käme dies etwa einmal vor. Auch in Schattdorf sind es nicht nur ältere Menschen, die dem Priester ihre Sünden mitteilen wollen. «Die Altersspanne reicht von 35 bis 90.»

Seit 10 bis 15 Jahren verhalte es sich mit der Beichthäufigkeit in etwa konstant, sagt Betschart. Stark abgenommen habe diese Zahl bereits mit der Einführung der Bussfeiern vor einigen Jahrzehnten, sagt Reinhard Walker vom Sekretariat des Seelsorgeraums Urner Oberland, wozu Göschenen, Gurtnellen und Wassen gehören. Bei dieser Art von Gottesdienst erteilte der Pfarrer den Teilnehmern die Absolution gleich kollektiv. «Danach war das Bedürfnis nach individuellen Beichten nicht mehr im gleichen Mass vorhanden.»

Der Bedarf an einem persönlichen Gespräch über die eigenen Probleme dürfte sich damit aber nicht gelegt haben, vermutet er. «Man geht dafür vielleicht einfach nicht mehr zwingend zum Pfarrer», so Walker. «Heute rennen dafür alle zum Psychologen», sagt der Altdorfer Pfarrer Daniel Krieg. Über Belastendes mit dem Pfarrer zu reden, könne jedoch ebenso befreiend sein – «und es kommt erst noch günstiger», sagt er mit einem Lachen.

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