Raphael Biermayr
Raphael Biermayr
Raphael Biermayr
Raphael Biermayr
Wenn der Zeitgeist während der letzten Jahre über Baar kam, hat er die Neugasse 24a ausgelassen. Hier ist die Werkstatt von Hansjörg Baumann, 79 Jahre alt und seit über 33 Jahren Restaurator antiker Möbelstücke. Der letzte seiner Art im Kanton, nachdem er zu Beginn mit zwei Konkurrenten um Aufträge gebuhlt hat, sagt er. In seiner Werkstatt neigt man dazu, nach Pumuckl zu suchen. Es ist eng, doch der drahtige Baumann bewegt sich flink durch die vertrauten Räume. Er ist sich gewohnt zu stehen und stockt deshalb kurz, als er nach einer Sitzgelegenheit gefragt wird. Schliesslich zieht er aus einer Ecke einen Stuhl hervor, der zum Verkauf steht.
Es ist ein Stuhl, den heute kaum mehr jemand kauft. Und genau das ist Baumanns Problem. Er hat sich kürzlich in einem – handgeschriebenen – Leserbrief an unsere Zeitung gewandt, in dem er die Wegwerfmentalität der Ikea-Generation anprangert. Nicht, dass ihm jegliches Verständnis abgehen würde für die Prioritäten der heutigen Zeit, Baumann hat schliesslich selbst Kinder und Enkel. Ihm geht es darum, aufzuzeigen, dass Möbelstücke mit Seele und Geschichte unwiederbringlich in den Feuern der Verbrennungsanlagen verschwinden. Darunter können Kuriositäten sein; wie ein Tisch, den er gegenwärtig restauriert, eine darstellt: Wer die Tischplatte entfernt, findet eine Art Flipperkasten darin vor – alles aus Holz.
Wiederkehrende Trends
Dabei komme ja alles wieder in Mode, weiss der ehemalige Schreiner aus Erfahrung. «Nach 25, manchmal 30 Jahren werden Stilrichtungen wiederentdeckt. Ich empfehle, Möbel, die man nicht mehr will, einzulagern und zu vergessen, bis sie wieder aktuell sind.» Im Fernsehen laufen derzeit erfolgreiche Formate, die seine Sicht der Dinge unterstützen: Darin lassen Leute Möbel aus Nachlässen vom Flohmarkt oder vom Estrich von Sachverständigen schätzen. Und sie freuen sich, wenn sie hören, dass es sich dabei um ein marktbegehrtes Stück handelt, das womöglich viel Geld einbringt.
«Täglich zehn bis fünfzehn Minuten lachen – das ist für mich wie Medizin.»
Geld ist nicht der Grund, warum Hansjörg Baumann in seinem Alter noch immer arbeitet, obwohl es vor der Pensionierung nicht gereicht habe, um in die zweite Säule einzuzahlen. Er tut es aus Überzeugung und Leidenschaft. Als er im vergangenen Jahr allerdings zeitweise nicht einmal mehr die Fixkosten der Werkstatt decken konnte, da wurde ihm gewahr, wie viel sich doch während der letzten Jahre und Jahrzehnte verändert hat. Ein Fotoalbum seiner Arbeiten endete zum Zeitpunkt, als Polaroid-Filme nicht mehr erhältlich waren. Und einen Internetanschluss hat der Baarer nicht.
So übermittelt er Offerten für seine Arbeiten («mit plus/minus zehn Prozent für alle Fälle») per Post und wartet in der Regel mit der Ausführung, bis diese unterschrieben retourniert worden sind. Kommt erschwerend dazu, dass Spezialisten, mit denen er lange zusammengearbeitet und eine Art Schicksalsgemeinschaft gebildet hatte, gestorben sind. Heute lerne niemand mehr die Fertigkeiten eines Drechslers oder wisse, wie man ein jahrhundertealtes Schloss repariert. Wenigstens ist ihm noch der Sattler Oskar Frener in Blickensdorf geblieben.
Trübsal bläst Hansjörg Baumann gleichwohl nicht. Er setzt darauf, dass er weiterempfohlen wird und sich Stammkunden wieder melden: Besserbemittelte mit grossen Häusern, wo noch Platz für einen zweitürigen Biedermeierschrank ist, erklärt er. Und er hofft, mit seiner Einstellung die Leute bezüglich des Umgangs mit Möbeln zum Nachdenken anzuregen. Wie heisst es doch im erwähnten Leserbrief? «Es ist nie zu spät, sich zu besinnen.»
Und wenn das Jetzt doch mal wieder an ihm nagt, vertraut er auf ein Patentrezept aus seinem Leben: «Täglich zehn bis fünfzehn Minuten lachen – das ist für mich wie Medizin.» Stark genug immerhin, um den Zeitgeist von ihm fernzuhalten.