Vanessa Varisco und Rahel Hug
Vanessa Varisco und Rahel Hug
Mein Grossvater stammt aus einer Generation, in der das Gendern kein Thema war. Entsprechend ist es in Ordnung, wenn er mich bis heute mit abgeschwächtem bayrischem Akzent «a richtiga Naturbursch» nennt. Eine Frau also, die stets draussen ist. Als «Naturbursch» in einem Pool baden? Kommt nicht in die Tüte! Ich ziehe den See vor. Bis vor kurzem wohnte ich mit dem Hund nur zwanzig Minuten Joggingstrecke vom See entfernt. Wenig zur Freude des Hundes: Er schaute bedröppelt aus der Wäsche, wenn ich ihm den nötigen Anstoss gab und er strampelnd wie ein Stabmixer einige Meter schwamm.
Gewisse Aversionen hegt manch einer gegen die Algen oder Fische, die unter der Wasseroberfläche des Sees warten. Ich gebe zu, als mich ein Fisch einst an der Wade streifte, verpasste ich meinem Grossvater versehentlich ein blaues Auge, weil ich mich hektisch rudernd auf ihn stürzte, um mich vor dem Fisch zu retten. Mein Grossvater sagte: «Des isch nur a Fisch. Der hat mehr Angst vor dir als andersrum.» Und damit verflog meine Angst vor Fischen.
All das Gewächs im See gruselte mich nie. Und spätestens als mein Grossvater behauptete: «Des isch a Delikatesse, des kannst essen», vermutete ich, dass auch die Algen mehr Angst vor mir haben dürften als umgekehrt.
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Es ist einer dieser Schreckensmomente, die man nicht mehr vergisst, auch wenn man genau weiss, dass absolut keine Gefahr droht und alles weniger als halb so schlimm ist. Als Jugendliche war es für uns das Grösste, im Luzerner Lido vom 6-Meter-Sprungturm zu hüpfen und allen zu beweisen, zu welch waghalsigen Kunststücken man fähig ist. Da war ich an vorderster Front dabei. Aber der «Schwumm» hin zu diesem Sprungturm glich für mich einem Horrortrip. Ein Teppich aus Seegras, der beinahe bis zur Wasseroberfläche reichte, umzingelte meine Beine – und liess mich in einem nie da gewesenen Tempo schwimmen. Zu diesem äusserst unangenehmen Gefühl gesellte sich die diffuse Angst, ich könnte mich in den Wasserpflanzen verheddern und untergehen.
Dass es auch unter Wasser eine Flora gibt, gehört natürlich zur Natur und ist gut so. Für mich jedoch ist ein Bad im See nur dann entspannt, wenn mich keine Gräser berühren und keine Fische streifen. Kühle ich mich im See ab, dann gerne kurz und wenn möglich auf sandigem oder steinigem Untergrund.
Mangelt es daran, ziehe ich gerne auch in einem Pool ein paar Runden. Der Chlorgeruch, der danach im Badekleid hängen bleibt, ist zwar auch nicht gerade toll, aber jagt mir immerhin keinen zünftigen Schrecken ein.