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Zug

Barocke Eigenwilligkeit, klassische Fülle und russische Seele

Für sein Herbstkonzert 2022 wählte das Zuger Ensemble Chamäleon drei Kammermusikkompositionen aus drei Epochen in drei verschiedenen Stimmungen – und gestaltete auf diese Weise so etwas wie eine Trilogie.

Italien – Österreich – Russland. Das Ensemble Chamäleon nahm das Publikum mit auf eine klingende Reise.
Bild: Bild: Stefan Kaiser (Zug, 9. Oktober 2022)

Luigi Boccherini, Wolfgang Amadeus Mozart und Alexander Borodin standen auf dem Programmzettel des Konzertes «Heiter und charmant», welches das Ensemble Chamäleon am Sonntagabend in der Gewürzmühle zum Besten gab.

Als Publikum nahm man diese Ankündigung zunächst einfach als musikalisches Dreigestirn wahr – zusammengehalten durch die Formation im Quartett oder Quintett. Beim Lauschen auf die zwei Violinen (Tobias Steymans, Nadya Korshakova), die Viola (Maria Clément), das Cello (Luzius Gartmann) und das Klavier (Madeleine Nussbaumer) eröffneten sich einem dann aber drei sehr unterschiedliche Musikwelten zwischen 18. und 19. Jahrhundert. Was auch heisst: drei faszinierende Biografien zu verschiedenen Zeiten und an sehr unterschiedlichen Orten, drei Stile zwischen Form und Ausdruck.

Wie soll man über Mozart heute noch schreiben? Mit einfachen Worten drückte es Peter Hoppe in seiner Einführung aus: «Diese Musik saugt man einfach auf. Und unter dem Heiter-Charmanten öffnet sich immer wieder auch der Tiefsinn.» 1786 hatte Mozart in Wien, befreit von der väterlichen Aufsicht, zu sich selbst gefunden, war zum Freigeist geworden und komponierte so, wie es ihm das geniale Talent diktierte, oft noch «zu kompliziert» für die Zeitgenossen.

Kurz zuvor hatte er die Komödie «Le mariage de Figaro» des französischen «Uomo universale» (aufgeklärten Universalgelehrten) und Dramatikers Beaumarchais als Opera buffa vertont. Figaro ist eine gescheite Dienerfigur, die sich mit Komik und Witz gegen Aristokraten und Patriarchen durchsetzt. Und man hat sich in der Literaturwissenschaft lange gestritten, ob die drei zunächst verbotenen, dann stürmisch gefeierten standeskritischen Figaro-Stücke als ein Dominostein auf die Französische Revolution hin gesehen werden können.

Auch Mozarts aufmüpfige Oper musste zuerst Querelen mit der Zensur überstehen, bevor sie an der Wiener Hofoper uraufgeführt wurde. Das kurz danach entstandene Klavierquartett in Es-Dur KV 493 ist von dessen Stimmung und Melodik noch inspiriert, und vor allem der rondoartige letzte Satz tönt beinah wie eine Opera buffa für Kammerensemble.

Die Aufführung in der Gewürzmühle brachte die hohe Komplexität dieses Mozart-Quartetts eindrücklich zum Klingen – seine klassische Form, der Reichtum an fortgesponnenen Modulationen und virtuosen Kombinationen, das Überströmen der Fantasie, zwischendurch plötzlich atmende, sinnierende Pausen, melancholische Gedanken oder stürmische Auflehnungen – romantische Vorahnungen gleichsam.

Ein letzter Repräsentant höfischer Musik

Diesem «Mozart-Monument» ging das 1799 von Luigi Boccherini komponierte Quintetto Terzo op. 57 Nr. 3 in e-Moll voraus. Der italienische Starcellist und Komponist lebte ab seinem 26. Lebensjahr in Madrid im Dienste des Infanten Don Luis, schrieb später aber auch – aus der Ferne – für den preussischen König. Zwischen Barock und Klassik gehörte er mit seinem unverkennbar eigenwilligen Stil zu den letzten Repräsentanten höfischer Musik.

Daran erinnerte vor allem der zweimal auftretende Provensal, ein französischer Tanz aus der Provence: Hüpfend, temperamentvoll, rasch wie ein fröhlicher Bauerntanz, unterbrochen von einem weicheren, liedhaften Teil, dann noch leidenschaftlicher und nachdrücklicher gehupft, liess er die Köpfe der rund 100 Zuhörenden nicken und die Füsse wippen.

Nach der Pause ging die musikalische Reise nach Russland. Alexander Borodin, das hochbegabte uneheliche Kind eines georgischen Fürsten, brachte es nicht nur bis zu einer Chemie-Professur in St.Petersburg, sondern war auch ein talentierter Cellist und Komponist: «Für andere ist die Komposition Aufgabe, Arbeit, Pflicht; für mich ist sie Ruhe, Spasse, eine Laune, die mich von meinen offiziellen Pflichten als Professor, Wissenschaftler ablenkt». Und so schrieb er auf einer Erholungsreise nach Italien 1862 sein Quintett c-moll, und dieses ist nun offensichtlich von deutscher Romantik beeinflusst.

Dass Borodin aber auch Mitglied des «Mächtigen Häufleins» von fünf russischen Komponisten war, die sich speziell für die nationalrussische Musik einsetzten, merkte man dem Quintett bei der Chamäleon-Aufführung immer wieder an: Bald glaubte man, sehnsüchtige Steppenlieder oder orientalische Gefühlsaufschwünge zu vernehmen, bald koboldhafte Tänze und heftige Tutti-Stürme. Zwischen zarten Melodie-Reprisen und orgiastischer Ton-Feier schien die Musik kein Ende nehmen zu wollen, um dann doch sanft zu verklingen. Das Publikum dankte der herzinnigen und virtuosen Musik mit anhaltendem Applaus.

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