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Luzern

Bange Zeit für Arbeitgeber: Greift die Epidemieversicherung in der Corona-Pandemie?

Den Unternehmen steht ein mehr als steiniger Weg bevor. Nun stellt sich die Frage, ob die Versicherungen für die anfallenden Ertragsausfälle aufkommen. Auf dem Spiel stehen Existenzen.
Ein geschlossenes Restaurant bietet den Verkauf über die Gasse an. (Bild: Georgios Kefalas / Keystone)
Volker Pribnow

Pascal Studer

Pascal Studer

Vergangenen Donnerstag hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausbreitung des Corona-Virus zur Pandemie erklärt. Der Bundesrat reagierte umgehend und verschärfte die Massnahmen, ehe er schliesslich den Notstand ausrief. Dem Laien dürfte seither klar sein: Eine Epidemie ist keine Pandemie.

Medizinisch betrachtet liegt die Unterscheidung im Wesentlichen in der Intensität: Während gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Epidemie eine stark gehäufte, örtlich und zeitlich begrenzt auftretende Infektionskrankheit ist, handelt es sich bei einer Pandemie um die Ausbreitung einer bestimmten Infektionskrankheit in vielen Ländern oder sogar Kontinenten.

Arbeitgeber fürchten um Versicherungsschutz

Im Versicherungsrecht tritt nun die Wichtigkeit dieser Unterscheidung ans Licht. Die Gretchenfrage: Haben Arbeitgeber, welche eine Epidemieversicherung abgeschlossen haben, Anspruch auf Schadenersatz für ihre Ertragsausfälle? Immerhin sind diese dem Virus und den daraus resultierenden Massnahmen des Bundesrates geschuldet.

Dies beschäftigt derzeit auch Ruedi Stöckli. Am Dienstagnachmittag traf sich der Präsident von Gastro Luzern mit seinen Verbandskollegen. Ein Thema war dabei der Versicherungsschutz der Gastronomen. Schnell wurde deutlich: Es ist nicht klar, ob die Verluste von den Versicherungen gedeckt werden. Stöckli sagt: «Die meisten Versicherungen argumentieren, dass wir zwar gegen Epidemien, aber nicht gegen Pandemien versichert sind.» Fast alle Verbandsmitglieder seien betroffen.

Da die Corona-Pandemie die ganze Wirtschaft torpediert, dürfte diese Frage von branchenübergreifendem Interesse sein. So auch für die Coiffeure. Mirjam Blättler-Ambauen präsidiert die Sektion Zentralschweiz des Verbands Coiffure Suisse. Auch sie sagt: «Das wird sicher zum Thema.» Allerdings habe sie sich noch nicht mit Versicherungsfragen auseinandersetzen können. Sie führt ein Coiffeur-Geschäft mit vier Mitarbeitenden und einer Lernenden. Die Sicherheit ihres Teams habe daher derzeit Priorität. Zudem betont Blättler-Ambauen: «Ich muss auch meine Kunden sensibilisieren, ihnen mitteilen, dass bis auf weiteres keine Termine mehr möglich sind. Auch nicht bei ihnen zu Hause.» Das sei ihr gegenwärtig sehr wichtig.

Rechtsanspruch unklar

Mit der grammatikalischen Abgrenzung zwischen Epidemie und Pandemie beschäftigt sich auch Volker Pribnow. Der promovierte Jurist und Anwalt ist spezialisiert in Versicherungsrecht. Er sagt: «Juristisch gesehen gibt es keinen allgemein gültigen Unterschied zwischen einer Epidemie und einer Pandemie.» So sei beispielsweise im Schweizer Epidemiengesetz, auf welches sich die verordneten Massnahmen des Bundesrates stützen, mit keinem Wort die Pandemie erwähnt.

Pribnow betont zudem, dass es sich um zwei medizinische Begriffe handelt. Gerade im Versicherungsvertragsrecht hätten jedoch Fachbegriffe eine untergeordnete Rolle. Entsprechend müssen im Versicherungsvertrag Begriffe gemäss Pribnow in erster Linie aus einer alltäglichen Perspektive interpretiert werden. Das bedeutet: Begriffe dürfen nicht so ausgelegt werden, dass sie beispielsweise nur ein Mediziner oder ein Jurist verstehen. Pribnow sagt:

«Es geht darum, wie die Versicherungsfrage im Verständnis eines normalen Bürgers beantwortet werden kann.»

Zudem muss der Versicherte mit gutem Glaube davon ausgehen können, dass nichts Ungewöhnliches im Vertrag steht. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn im Kleingedruckten überraschende Einschränkungen vorgenommen würden. Diese Einschränkungen kann das Gericht als ungültig erklären. Schliesslich fügt Pribnow einen dritten Punkt an: «Gibt es mehrere Auslegungsmöglichkeiten, wird im Zweifel für den Versicherungsnehmer entschieden.»

Können somit die Unternehmer kollektiv aufatmen? Pribnow relativiert: «Wenn im Vertrag ausdrücklich erklärt wird, was unter einer Pandemie und was unter einer Epidemie zu verstehen ist, gelten diese Definitionen.» Dass dies in der Praxis – beispielsweise bei Helvetia und Axa – durchaus vorkomme, bestätigt Pribnow. Dann gelte diese Einschränkung – sofern sie nicht vom Gericht als ungewöhnlich und ungültig angesehen werde. So bleibt der Rechtsanspruch der Arbeitgeber strittig und somit die Frage ungeklärt, ob sich die Versicherungen verkalkuliert haben – die eingezahlten Prämien sind nämlich um ein Vielfaches kleiner als die Versicherungssummen.

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