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Uri

Auf der Alp von Schnee verschüttet: Zwei Touristenführerinnen philosophieren über Heimat und Tradition

Das Theaterstück «Hellvetia» ist nach der Premiere am Freitagabend am Samstag nochmals im Theater Uri zu sehen. Anschliessend geht es auf Tournee durch verschiedene Bergkantone.
Die beiden Schauspielerinnen Giorgina Hämmerli (links) und Anja Rüegg bringen auf der Alp den goldenen Ring zum Leuchten. (Bild: Toni Suter (Altdorf, 10. März 2022))
Giorgina Hämmerli posiert als Helvetia. (Bild: Toni Suter (Altdorf, 10. März 2022))
Die beiden Schauspielerinnen Anja Rüegg (links) und Giorgina Hämmerli kommen in der eingeschneiten Alphütte ins Philosophieren. (Bild: Toni Suter (Altdorf, 10. März 2022))

Markus Zwyssig

Markus Zwyssig

Markus Zwyssig

Es beginnt im Foyer des Theaters Uri ganz verheissungsvoll. Zwei Touristenführerinnen (Giorgina Hämmerli und Anja Rüegg) laden zu einer einmaligen Erfahrung auf der Alp ein. Die beiden Fachfrauen sind derart darin vertieft, über das Leben auf der Alp in all seinen Facetten lebhaft zu schwadronieren, dass sie dabei den Zeitpunkt des Eindunkelns verpassen, um dann – und genau dann – mit dem Betruf den Schutz für die Alp zu erbeten.

Das hat verheerende Folgen, wie das Publikum wenig später – nach einem Wechsel des Spielorts – schon beim Platznehmen auf den Sitzreihen auf der Bühne erfährt. Beklemmend ist das Bild, das sich den Zuschauerinnen und Zuschauern bietet. Die Alphütte wurde von Schneemassen verschüttet. Die beiden Frauen sitzen fest – der Kontakt zur Aussenwelt ist unterbrochen. Sie haben plötzlich ganz viel Zeit, sich Geschichten zu erzählen und Fragen zu stellen.

Einen wichtigen Teil leistet neben der schauspielerischen Leistung der beiden Frauen auch die einfache, aber effektvolle Bühnenausstattung (Bühne und Kostüm: Julie Steen Nielsen, Technik: Nehemia Bertschi) sowie die musikalische Untermalung. Der Urner Musiker Elia Aregger unterstützt das Geschehen wesentlich mit seinen Sounds. Er steht zwar selber nicht auf der Bühne, hat aber elektronische Musik mit Klängen von Schweizer Alpen verwoben, die er passend beisteuert. Beklemmende Situationen, wie zum Beginn beim eingeschneit sein werden noch beklemmender; ruhige Momente, in der Dunkelheit der Nacht, noch poetischer. Über allem liegt der schützende Ring, der beleuchtet, Geborgenheit und Wärme verbreitet.

Von Heidi übers Sennentuntschi bis zur Helvetia

Und wie ergeht es den Frauen beim Geschichtenerzählen? Die beiden Schauspielerinnen schöpfen aus dem Vollen. Die Alpenidylle bei Heidi mischt sich mit der gruseligen Sage vom Sennentuntschi. Der Globi kommt ins Spiel und selbst Helvetia. Über Letztere hat Livio Beyeler, der das Stück zusammen mit Elo Göldi geschrieben hat, im Vorfeld ausgiebig recherchiert. Dabei fand er heraus, dass die Frauenfigur der Helvetia zwar verschiedentlich als Logo gebraucht und ihr Name vielfältig verwendet wird – auch für eine Versicherung – doch eine Geschichte hat die Frau nicht. Auch in «Hellvetia» kann die Landesmutter nur einfach dastehen oder sitzen. Dabei würde sie sich am liebsten davonmachen, wenn sie denn könnte.

Gründlich recherchiert und auf Alpen kräftig mitangepackt

Livio Beyeler hat aber nicht nur über die Figur der eigentlich gesichtslosen Landesmutter geforscht. Er war im vergangenen Sommer auch auf fünf verschiedenen Alpen im Urner- und Glarnerland, in Obwalden, im Bündner- und im Berner Oberland. Dabei packte er bei den Senninnen und Sennen kräftig mit an, stand morgens um 4 Uhr auf, half Kühe zu melken, den Stall sauber zu halten, zu käsen, zu holzen und zu hagen.

Zudem interviewte er die Älplerinnen und Älpler in jeder freien Minute. «Ich hatte schöne Begegnungen mit herzlichen, netten, freundlichen, spannenden, interessanten und reflektierten Menschen, die gerne erzählt haben», sagt er im Gespräch. Aus all dem Erzählten, den Interviews und Geschichten ist «Alpsommer», der Podcast zum Theaterstück entstanden (zu hören ist dieser auf www.studiobeyeler.ch).

Unterhaltsames Erlebnis, das auch zum Nachdenken anregt

Viele von Beyelers Erlebnissen werden auch im Theaterstück verarbeitet. Immer wieder geht es bei den beiden Schauspielerinnen um die Begriffe Heimat und Tradition. Was bedeuten sie uns heute? Das Traditionelle ist zwar noch da, vieles hat sich aber sehr stark gewandelt. «Die Käsereien auf den Alpen sind inzwischen Labors mit weiss geplättelten Räumen», sagt Livio Beyeler.

So richten die beiden Schauspielerinnen auf der Theaterbühne denn auch den Blick immer wieder auf Gegenwart, diskutieren beispielsweise engagiert über das Verhältnis der Schweiz zur EU. So wird das eineinhalbstündige Theaterstück zu einem unterhaltsamen Erlebnis, bei dem es dem Publikum nie langweilig wird. Ein Erlebnis, das aber auch zum Nachdenken anregt – insbesondere über Begriffe wie Heimat und Tradition.

Am Freitag erlebte das Theaterstück «Hellvetia» vor ausverkauften Publikumsreihen die Uraufführung. Am Samstag ist es ein zweites Mal im Theater Uri zu sehen. Die Produktion von studio beyeler entstand in Kooperation mit dem Theater Uri und in Zusammenarbeit mit Kulturplatz Davos, Chäslager Stans und Kulturgesellschaft Glarus sowie Caritas Schweiz und zalp.ch. Anschliessend reist die Truppe weiter ins Glarnerland, nach Nidwalden, ins Bündnerland und ins Berner Oberland.

Hinweis: Das Theaterstück «Hellvetia» ist am Samstagabend um 20 Uhr im Theater Uri zu sehen.

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