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Uri

Archäologen retten in Schattdorf Geschichte

An der Dorfbachstrasse hat man eine alte Steinreihe entdeckt. Alter und Bedeutung werden derzeit untersucht.
Anna Naeff gräbt nach historischen Fundstücken. (Bild: Christian Tschümperlin (Schattdorf, 30. Januar 2020))

Christian Tschümperlin

Ein paar Spaziergänger gehen in Schattdorf an einem Erdloch vorbei. Sie gucken interessiert hinunter. Was mag da bloss vor sich gehen? Unten verrichten drei Archäologen ihr Werk: Melanie Giger, Anna Naeff und Fabrizio Bätscher pickeln, pinseln und schaufeln.

Das Trio ist seit dieser Woche an der Dorfbachstrasse. Beauftragt wurde das Team der Prospect GmbH mit Sitz in Aarau vom Kanton Uri, da dieser keine eigene Kantonsarchäologie unterhält.

Das Erdloch befindet sich in einer «potenziell interessanten Parzelle», wie Giger sagt. Gleich neben dem Erdloch steht nämlich der «Unterer Hof» aus dem 17. Jahrhundert. Mitte der Achtzigerjahre stiess man dort bei Sondierungen auf mittelalterliche und römische Scherben. «Irgendwo im Umfeld hat es also eine römische Siedlungsstelle. Das kann auch ein einzelner Gutshof gewesen sein», klärt Giger auf. Deshalb hat man einen Radius um den «Unterer Hof» gezogen, der zur archäologischen Funderwartungszone erklärt wurde.

«Eine Mauer ist es nicht»

Nun soll in der Parzelle eine Überbauung entstehen. Bevor die Bagger aufführen dürfen, haben die Archäologen aber Anfang Januar sondiert. Und tatsächlich wurde etwas freigelegt: Das Objekt des Interesses erstreckt sich über einige Meter am linken Rand des Erdlochs: Es handelt es sich um eine «Steinsetzung», wie Giger sagt. «Eine Mauer ist es nicht, da sind wir uns sicher.» Mauern seien im Normalfall gemörtelt, die Steine sauberer gesetzt. Doch es sei ein Menschenwerk: Die dicht gesetzten Steine befinden sich in einer geraden Linie. «Die wahrscheinlichste These ist, dass wir es mit einer Hangbefestigung zu tun haben, die womöglich eine alte Parzellierung verdeutlicht.»

Was man heute nicht mehr sieht: Unter der Dorfbachstrasse verläuft der Dorfbach, den man künstlich umgeleitet hat. «Im Mittelalter gab es an Bächen oft Gewerbe: Gerbereien oder Mühlen.» Ob die Hangsicherungsmassnahme damit im Zusammenhang steht, kann man aber noch nicht sagen. Auch nicht, ob die Hangbefestigung überhaupt mittelalterlichen Ursprungs ist. «Die Steinsetzung könnte römisch, mittelalterlich oder jünger sein. Mit Sicherheit ist sie jünger als die bronze- oder eisenzeitliche Keramikscherbe, welche 2011 in Schattdorf aus grösserer Tiefe geborgen worden ist.» In der Steinsetzung haben die drei Archäologen Knochen gefunden und zur C14-Datierung eingeschickt. Dadurch kann das Alter bestimmt werden. Das Resultat wird den Archäologen nächste Woche zugestellt.

Aus Sicht der archäologischen Befunde bedeutet ein Bauvorhaben zwar einerseits die nachfolgende Zerstörung, bietet den Archäologen andererseits jedoch die Möglichkeit, in den Boden zu schauen und neue archäologische Entdeckungen zu machen. Solche Notgrabungen sind in der Schweiz die Regel. Das heisst, die Archäologen werden dann aktiv, wenn archäologische Befunde durch Bauprojekte gefährdet werden. Forschungs- und Lehrgrabungen werden nur von Universitäten durchgeführt.

Kein Konflikt mit Bauherren

Trotz unterschiedlicher Interessenlagen bezeichnet Giger das Einvernehmen mit den Bauherren als gut. Zu Verzögerungen bei den Bauarbeiten komme es wegen der Archäologie selten. «In aller Regel findet man den Konsens.»

Ziel der Ausgrabungen ist die vollständige Dokumentation der vorliegenden Befunde und Funde. Die Archäologen zeichnen, vermessen und fotografieren die Steinsetzung. Die Daten werden in ein Geoinformationssystem (GIS) oder ein Computer-aided Design (CAD) eingelesen. «Es geht darum, die Puzzleteile zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Wenn man punktuell immer wieder in den Boden schauen kann, ergibt es irgendwann ein grösseres Bild.» Das Dossier geben die Archäologen ihrem Auftraggeber, dem Kanton, ab. Was daraus gemacht wird, ist jedem Kanton einzeln überlassen. Eine nationale Datenbank existiert derzeit nicht.

Im Kanton Uri hat Christian Auf der Maur den Überblick über die archäologischen Ausgrabungen. Im Auftrag der Abteilung Denkmalpflege und Archäologie beurteilt er Baugesuche anhand der archäologischen Funderwartungsgebiete, macht Vorschläge zu möglichen Interventionen und archiviert die Dossiers, die der Dokumentation dienen. Zudem verfasst Auf der Maur Berichte, die beispielsweise im Jahrbuch der Archäologie Schweiz mit der Forschungsgemeinschaft geteilt und in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden.

Giger war zweimal an Ausgrabungen in Flüelen und einmal in Altdorf beteiligt. So fand man auf dem Areal der Villa Winterberg in Altdorf im Februar 2019 spätrömische Münzen und frühmittelalterliche Goldanhänger. Giger findet es spannend, in der Archäologie tätig zu sein, weil man nie wisse, was man finde. «Ich bin fasziniert von der Geschichte. Für mich ist es spannend herauszufinden, wer da vorher gelebt, gewirkt hat und wo wir herkommen.»

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