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Luzern

Applaus für 2 Frauen, 10 Tonnen Material und 400 Sugus: die Highlights der Corona-Sondersession des Luzerner Kantonsrats

Der Luzerner Kantonsrat hat am Montag aufgrund der Coronakrise auf der Allmend getagt. Aktennotizen einer aussergewöhnlichen Session.
Maurus Frey (links) und Jonas Heeb von der Fraktion der Grünen. (Bild: Nadia Schärli (Luzern, 18. Mai 2020))
Mittagessen auf Distanz. (Bild: Nadia Schärli (Luzern, 18. Mai 2020))
Zwei Reinigungskräfte haben nach jedem Votanten das Rednerpult
desinfiziert. (Bild: Nadia Schärli (Luzern, 18. Mai 2020))
Wurde von Kantonsratspräsident Josef Wyss (CVP) mit einem Augenzwinkern ans Abstandhalten erinnert: Regierungsrat Fabian Peter (FDP). (Bild: Nadia Schärli (Luzern, 18. Mai 2020))

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

Evelyne Fischer

7.43 Uhr, Messe Luzern.

Statt übers Kopfsteinpflaster vor der Jesuitenkirche strömen die Kantonsräte über den Asphalt aufs Messegelände. Einlass im Tröpfchensystem, Distanzwahrung per Bodenmarkierung, Kon­trolle der Personalien. Die Coronasession macht ihrem Namen alle Ehre.

8 Uhr, die Glocke klingelt.

Kantonsräte eilen herbei. Die Wege sind länger als gewohnt, Sprints vor Abstimmungen werden keine Seltenheit sein.

8.02 Uhr, Vereidigung.

Ein Gelübde abzulegen, ist ein besonderer Moment. Es in einer Messehalle zu tun, gar beispiellos: Mario Cozzio (26) aus Sursee wird als GLP-Kantonsrat vereidigt. Er beerbt den Sitz des Nottwilers Markus Hess. In normalen Zeiten fiebern dabei Angehörige auf der Zuschauertribüne mit. Jetzt müssen sie sich mit dem Livestream begnügen, die Session findet ohne Publikum statt. Der ungewöhnliche Start in den Parlamentsbetrieb habe auch seine Vorteile, sagt Mario Cozzio später: «Ich war heute längst nicht der Einzige, der mit vielen Neuheiten konfrontiert wurde.»

8.17 Uhr, Kantonsratspräsident Josef Wyss (CVP, Eschenbach) ruft die Schutzmassnahmen in Erinnerung.

8.26 Uhr, die Diskussion über die Dringlichkeit von 32 Vorstössen beginnt.

8.31 Uhr, erste Beschlussfassung.

Auftakt zum steten Auf und Ab. Seit der Maisession 2014 stimmt der Kantonsrat elektronisch ab, nun folgt der technische Rückschritt: Um ein Geschäft zu unterstützen oder abzulehnen, haben sich Parlamentarier zu erheben. «Etwas Fitness schadet nicht», hatte Kantonsratspräsident Wyss beim Medientermin am Freitag gesagt. Man habe bewusst auf eine digitale Alternative verzichtet. «Wegen der Störanfälligkeit.»

8.35 Uhr, Kantonsrätin Sara Muff (SP, Sursee) spricht als erste am Rednerpult, sie fordert eine Standesinitiative zur Aufnahme von Menschen auf der Flucht.

Frühsport zum Zweiten. Voten werden zentral abgegeben. Der Marsch zum Mikrofon erfolgt im Einbahnsystem.

8.44 Uhr, erste Gerüche aus der Küche.

9.19 Uhr, Kurzpause. Über die Dringlichkeit der Coronavorstösse soll in globo abgestimmt werden. Der Ordnungsantrag macht das Ratsbüro kurzzeitig ratlos.

In der Regel sitzt Kantonsratspräsident Josef Wyss Schulter an Schulter mit dem Staatsschreiber. Nun undenkbar: Zum einen ist der Posten vakant, zum anderen erschwert der Abstand den Austausch. Ad interim ersetzt Karin Schuhmacher Bürgi, Leiterin der Parlamentsdienste, den Staatsschreiber. Notfalls spricht sie sich mit Wyss per SMS ab.

9.49 Uhr, Abstimmung: Nein zur Dringlichkeit von über 20 Coronavorstössen.

10.49 Uhr, Ja zu mehr Staatsanwälten zur Bekämpfung von Cyberkriminalität. Mehr dazu lesen Sie hier.

11.35 Uhr, Inge Lichtsteiner (CVP, Egolzwil) unterzeichnet ein Postulat von Fraktionskollege Urs Marti (Zell) zur Beschleunigung von Investitionsprojekten.

Statt auf dem Zirkularweg werden heute an zentraler Stelle Unterschriften für Vorstösse gesammelt. Das nutzt Inge Lichtsteiner, die während der Session viel Zuspruch für einen kürzlichen Fernsehauftritt erhält. Sie gehört zu den inzwischen 726 Personen, die positiv auf Covid-19 getestet worden sind, wie sie jüngst bei Tele1 erzählte. Ihr Ansporn dafür? «Wir dürfen das Coronavirus nicht verharmlosen, aber wir alle müssen einen Umgang damit finden.»

12 Uhr, die Älplermagronen warten.

Josef Wyss zieht ein erstes Fazit. Die Session verlaufe bislang flüssig. Nur einige Male sei unklar gewesen, zu welchem Geschäft die wartenden Kantonsräte das Wort ergreifen wollen.

13 Uhr, Erklärungen zur Coronakrise. Mehr dazu lesen Sie hier.

«Vor uns liegt ein Distanzmarsch und ein Balanceakt», sagt Regierungspräsident Paul Winiker (SVP). Er und seine Ratskollegen ernten von den Fraktionen gute Noten für die Krisenbewältigung. Nun gelte es, vorwärts zu schauen. «Der Aufschwung beginnt im Kopf», sagt Andreas Moser (FDP, Luzern).

13.59 Uhr, Applaus für die beiden maskentragenden Frauen, die nach jedem Sprecher das Rednerpult desinfizieren und die Plastikaufsätze der Mikrofone erneuern.

Die Session hat eine regelrechte Materialschlacht mit sich gebracht: Die Veranstaltungstechniker der Rothenburger Firma Bild+Ton AG lieferten knapp zehn Tonnen Ware an. «Sechs Spezialisten waren drei Tage lang mit dem Aufbau beschäftigt», sagt Projektleiter Martin Lohse. 2000 Meter Stromkabel wurden verlegt, 220 Meter Aluprofile für die Montage von Lampen und Lautsprechern angebracht. B+T hat bereits Routine – dank der ähnlichen Umsetzung fürs Zuger Parlament, das in der dortigen Kantonsschule getagt hat.

14.17 Uhr, Standesweibelin Anita Imfeld serviert den CVP-Magistraten einen Café.

14.46 Uhr, Stimmenzähler im Einsatz.

15.35 Uhr, Kantonsrat Hannes Koch (Grüne, Luzern) weibelt für sein Postulat für eine digitale Mobilitätsplattform.

Die Ratslinke sitzt am weitesten vom zentralen Mikrofon entfernt. Das sei Absicht, witzelte Kantonsratspräsident Josef Wyss im Vorfeld mit Blick auf die votierfreudigen Parteien. «Diese Fraktionen verfügen aber auch über die jüngsten Kräfte», schob er nach.

16.20 Uhr, Josef Wyss mahnt zur Wahrung des Abstands – das Gebot gelte auch für Regierungsrat Fabian Peter (FDP).

Namen wollen wir keine nennen. Aber: Politik macht hungrig. Überbrückungshilfe bis zum Znacht leisten rund 400 Sugus und über 130 Schoggistängeli, die auf den Pulten verteilt worden sind.

17.52 Uhr, Sessionsende.

«Ihre Disziplin hat mich positiv überrascht», sagt Kantonsratspräsident Josef Wyss zum Schluss und verabschiedet die Parlamentarier. Quietschende Schuhsohlen, klackende Pumps, Stühlerücken. Die Geräuschkulisse ebbt ab. Die Halle leert sich, die Infrastruktur bleibt: Auch am 22., 23. und 29. Juni tagt der Kantonsrat in der Allmend – für den Herbst wurde provisorisch reserviert.

Session extra muros – ein Anlass mit Seltenheitswert

Die Session in der Messe Luzern verursacht pro Tag Kosten im hohen fünfstelligen Bereich. Der Kantonsrat ging am Montag nicht zum ersten Mal fremd: Laut dem Luzerner Staatsarchivar Jürg Schmutz konnte der frühere Grosse Rat zu Beginn seiner Tätigkeit ebenfalls nicht in einem eigenen Saal tagen, sondern versammelte sich am 21. April 1803 im Porträtsaal des städtischen Rathauses. «Der heutige Grossratssaal wurde erst 1843 eröffnet», sagt Schmutz. Auch die Session vom 7. und 8. Mai 2001 fand auswärts statt. Weil der Ratssaal einer Renovation unterzogen wurde, versammelten sich die Politiker in der Festhalle in Sempach. Es soll das erste Mal überhaupt gewesen sein, dass der Grosse Rat ausserhalb Luzerns, auf der Landschaft, tagte, schrieb die «Sempacher Woche». Die «Session an historischer Stätte» hatte ihren Grund: Die Regierung wurde damals ermächtigt, die Totalrevision der Luzerner Staatsverfassung einzuleiten. Ein Datum für die Geschichtsbücher war auch der 14. September 2009. Traktandiert: die halbtägige Sondersession Tiefbahnhof Luzern. Die Schlussabstimmung zum 20-Millionen-Kredit für ein Vorprojekt des Tiefbahnhofs fand im Untergeschoss des Bahnhofs Luzern statt. Im Vorfeld hatte der damalige Kantonsrat Pius Zängerle (CVP, Adligenswil) vorgeschlagen, die ganze Session im Bahnhof abzuhalten. Die Idee wurde dann aber verworfen, unter anderem aus Sicherheitsgründen.

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