Yasmin Kunz
Integrative Förderung (IF) an der Volksschule hat zum Ziel, dass Schülerinnen und Schüler individuell durch eine Fachperson unterstützt werden. Dieses Angebot gilt für Schüler mit Lernschwierigkeiten und für solche mit Begabungen. Im Zentrum der integrativen Förderung, die 2011 im Kanton Luzern flächendeckend eingeführt wurde, steht der Klassenunterricht.
So hält es die Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern fest. Alle im selben Klassenzimmer – dieser Grundsatz ist nicht immer realistisch. Das zeigt der neuste Bericht «Raumprogramm Volksschule» des Luzerner Stadtrats. Mit zunehmender Praxiserfahrung zeige sich, dass die Integrative Förderung hin und wieder in getrennten Räumen stattfindet. Also separativ statt integrativ.
Besteht hier also eine Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis? Für Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung des Kantons Luzern, ist das kein Widerspruch:
«Bei einzelnen Schulhäusern mag das in der Praxis so sein, aber über den ganzen Kanton hinweg betrachtet, ist diese Feststellung nicht zutreffend.»
Gewiss sei der IF-Unterricht im Gruppenraum im «speziell definierten Einzelfall sinnvoll, sollte aber nicht die Regel sein». Auch in der Stadt Luzern sei das nur die Ausnahme und nicht der Regelfall, wie Vincent betont. Gleichzeitig sagt er: «Es braucht eine Variation der didaktischen Formen und dazu gehört auch der Unterricht im Gruppenraum.»
Gruppenraum als wichtige Ausweichmöglichkeit
Alex Messerli ist selber Primarlehrer in der Stadt Luzern und Präsident des Luzerner Lehrerinnen- und Lehrerverbands. Er pflichtet Vincent bei:«Es gibt verschiedene Formen, wie IF unterrichtet werden kann. Teilweise geschieht es im Klassenzimmer, teilweise in Gruppenräumen.» Ziel sei es, die Kinder während der Anwesenheit der IF-Lehrperson effektiv und gezielt zu fördern. Abhängig sei die Form des IF-Unterrichts zudem vom Lerninhalt. Er macht ein Beispiel: «Erhalten die Schüler die Einführung in ein neues Thema, mag es sinnvoll sein, dies separat zu tun. Schon nur, weil es wegen der Akustik schwierig wird, zwei Gruppen im gleichen Schulzimmer in ein Thema einzuführen.» Zur Regel werden dürfe das aber nicht, betont er. Gleicher Meinung sind zwei Seklehrpersonen aus der Stadt Luzern (siehe Box am Ende des Textes).
Charles Vincent ortet dennoch Verbesserungspotenzial punkto integrativer Förderung. So sollen künftig die Aufgaben für IF-Lehrpersonen erweitert werden, indem sie beispielsweise auch Deutsch für Fremdsprachige (DaZ) unterrichten. Bis dato wird DaZ an vielen Schulen von Klassen- oder Fachlehrern übernommen. Vincent sagt:
«Damit wollen wir die Zahl von Pädagogen an einer Klasse reduzieren.»
Indem die IF-Lehrerin – meistens sind es Frauen – weitere Unterrichtsbereiche übernimmt, wird ihre Präsenz in der Klasse gestärkt. Das fördert folglich die Zusammenarbeit mit den Schülern sowie mit der zuständigen Klassenlehrperson. Weitere Entwicklungsmassnahmen werde man nach Abschluss der Evaluation IF/IS haben. Die Ergebnisse werden im Frühjahr 2020 erwartet.
Von Spezialräumen sollen alle Kinder profitieren
Zurück zur Volksschule Stadt Luzern: Dass IF hin und wieder in separaten Zimmern ausgeführt wird, habe wohl auch organisatorische Gründe, wie der Dienststellenleiter Charles Vincent vermutet. «Auf diese Weise braucht es weniger Absprachen während des Unterrichts mit der zuständigen Klassenlehrperson.» Dazu braucht es auch Gruppenräume. Die Stadt Luzern hält in ihrem Bericht fest, dass «pro sechs Abteilungen ein Raum für die Integrative Förderung in Gruppenzimmergrösse benötigt wird». Vincent bestätigt diese Formel. Er fügt aber an: «Die Notwendigkeit von Gruppenräumen nur mit dem IF-Unterricht zu begründen, greift zu kurz und zeugt von einem überholten Bild.»
Gruppenräume seien auch für einzelne Sequenzen im Halbklassenunterricht, Unterricht für DaZ oder für individuelles Arbeiten der Schüler da. Deshalb seien zumindest im Kindergarten, in der Basisstufe und in der Primarschule eher mehr Gruppenräume nötig als die Stadt offenbar plant. Insbesondere bei neu gebauten Schulhäusern werde darauf geachtet, dass pro Klasse beziehungsweise pro zwei Klassen ein Gruppenraum zur Verfügung steht.