Franziska Herger
Franziska Herger
Ohrenbetäubendes Getöse ertönt vom Sachsler Dorfplatz. 250 Schüler in weissen Sennenkutten marschieren auf dem Platz auf und ab, eine bimmelnde Trinkel in beiden klammen Händen und angeführt von einem Schmutzli, der mit einem Grotzli enthusiastisch den Takt angibt. Fast zehn Minuten dauert das Spektakel, bis auch die letzte Trinklergruppe, genannt «Zug», dazugestossen ist. Dann ziehen die Kinder in Richtung Schulhaus und Mittagessen davon.
Verdient haben sie es, denn das Finale, das am Mittwoch zahlreiche Schaulustige auf den Dorfplatz zog, ist nur ein Teil des Schülertrinkelns. Von acht Uhr morgens besuchten die Schüler in fünf Trinkelzügen sämtliche 540 Sachslerinnen und Sachsler, die über 70 Jahre alt sind. Jeder Zug wurde von einem Samiglais begleitet, der den Senioren eine Birnenwegge mitbrachte. Der fleissigste Zug besuchte dabei ganze 107 Senioren in vier Stunden. «Danach sind die Schüler geschlaucht», sagt Petra Steiner, die als Teil eines siebenköpfigen Teams das Schülertrinkeln für die Pfarrei Sachseln organisiert.
Heute dürfen auch die Mädchen trinkeln
Die 72-jährige Anna Reinhard gehörte kurz nach 11 Uhr zu den letzten Sachslerinnen, die Besuch vom Samiglais bekam. Sie habe schon seit dem Morgen immer wieder aus dem Stubenfenster geschaut, berichtete die ältere Dame. «Ich freue mich jedes Jahr darauf.» Das Trinkeln erinnere sie an ihre Kindheit, erzählt Anna Reinhard. «Damals durften aber nur die Buben trinkeln.» In anderen Gemeinden ist das heute noch so. Den alten Brauch des Schülertrinkelns gibt es in ganz Obwalden, mit kleinen Unterschieden von Dorf zu Dorf. «In Wilen dauert es beispielsweise zwei Tage», weiss Petra Steiner.
In Sachseln war der Brauch bis vor wenigen Jahren etwas eingeschlafen. «Früher war das Trinkeln an einem Samstag», erzählt sie weiter. «Heute findet jedoch am Samstag keine Schule mehr statt, weshalb das Trinkeln auf den letzten Mittwoch im November verschoben worden ist.» Auch sind die Schüler seit drei Jahren klassen- statt gebietsweise unterwegs und werden von Lehrpersonen begleitet, die sie immer im Blick haben. Die Hauptverantwortung tragen jedoch die Schüler der zweiten Oberstufe als Schmutzli und Anführer. Mit all diesen Änderungen sei das Schülertrinkeln wieder richtig aufgelebt, sagt Petra Steiner. «Wir mussten sogar einen Zug mehr einsetzen, auch weil wir immer mehr Senioren haben.»
«Ein richtiges Dorfprojekt»
Die Organisation erforderte viel Einsatz von allen Seiten. Die Glocken selber kommen von lokalen Bauern und werden diesen nach dem Anlass wieder zurückgegeben. Und zwölf Frauen aus dem Dorf nähten die weissen Kutten für die kleinen Trinkler aus Betttüchern, die vor drei Jahren in einer dorfweiten Sammlung von den Sachslern spendiert wurden. «Ein richtiges Dorfprojekt», freut sich Erika Steiner. Neben der Freude am Schenken und Trinkeln dürfen sich die Schüler auch über einen Zustupf in der Klassenkasse freuen: Die Schüler der sechsten Klasse verkauften im ganzen Dorf Lebkuchen, die bis zum Mittag praktisch ausverkauft waren. Und auch für die Trinkler gab es die eine oder andere Spende von glücklichen Senioren.
Ebenfalls erst seit drei Jahren gibt es das grosse Trinklerfinale. Gemeindepräsident Peter Rohrer war vom Schauspiel begeistert: «Diese Zusammenkunft auf dem Dorfplatz finde ich sehr schön.» Er selber sei als Bub jeweils auch beim Schülertrinkeln dabei gewesen, erzählte Rohrer. «Es ist heute noch wie damals: Jeder will die grösste Trinkle haben.»