Kristina Gysi
Sie wuchs in einem 600-Seelen-Dorf auf. «Wir hatten nicht immer die neuesten Kleider und mussten uns etwas durchkämpfen», sagt Petra Enz. Dass sie nicht so «in» war wie andere Kinder, habe sie schnell zu spüren bekommen. Angefangen hat es mit kleinen Sticheleien, später kam es dann dazu, «dass mit verfaultem Essen nach mir geworfen wurde». Auch wegen dieser Erfahrungen beschäftigt sich die Frau aus Giswil heute intensiv mit dem Thema Mobbing.
«Hätte man mir vor etwas mehr als einem Jahr gesagt, dass ich bald eine Weiterbildung per Computer machen werde, hätte ich nur ungläubig den Kopf geschüttelt», sagt Petra Enz schmunzelnd. «Und jetzt das.» Sie zeigt auf ihr bescheidenes Homeoffice am Küchentisch. Dort schloss die ausgebildete Kauffrau und Pflegehelferin kürzlich eine Weiterbildung zum Thema Mobbing unter Kindern und Jugendlichen ab.
Gerade auf dem Land werde Mobbing tabuisiert
Die Erfahrungen aus ihrer Kindheit erweckten in der erwachsenen Petra Enz den Wunsch, anderen zu helfen. Sie wollte ihren Teil dazu beitragen, Mobbing zu thematisieren und aktiv dagegen vorzugehen. Enz deutet aus dem Fenster des Einfamilienhauses in Giswil, wo sie mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt. «Gerade in ländlichen Gebieten wie hier wird das Thema noch immer tabuisiert oder zumindest heruntergespielt», sagt sie. Auch werde der Begriff «Mobbing» falsch interpretiert:
«Viele denken, ein Kind müsse über Jahre hinweg gehänselt werden, damit man dies als Mobbing bezeichnen kann.»
Dem sei nicht so: Ein Kind werde gemobbt, sobald es sich durch gezielte Ausgrenzung oder auch durch eine einzelne Hänselei unwohl oder gar verängstigt fühlt. Bei dem einen Mal bleibe es in den meisten Fällen ohnehin nicht.
Onlinekurse statt Unterricht an Schulen
Enz möchte dem Mobbing also entgegenwirken. Das kann sie nun als ausgebildete Selbstbehauptungs- und Resilienztrainerin sowie als Kinder- und Jugendcoach. Erste Kurse gab sie bereits – derzeit noch via Videoanruf. «Natürlich bin ich froh, dass ich diese Erfahrungen machen konnte», sagt sie. Doch leider sei es nicht ganz einfach, im Rahmen des Onlineangebots Interessierte zu finden. Die Resonanz sei zwar da: Für Facebook-Einträge über ihr Kursangebot erhalte sie viele positive Rückmeldungen.
«Aber dass die Kurse über Zoom stattfinden, ist wohl für viele Eltern eine Hemmschwelle.»
Sie verstehe das, aber die ersten Kurse zeigten auch, dass es funktionieren kann. «Ich bin sehr überrascht, dass es bisher so gut geklappt hat», sagt sie. Ziel sei es jedoch, diese Kurse zukünftig an Schulen geben zu können – wenn es dann wieder möglich ist.
Das Konzept ihrer Kurse stammt von «Stark auch ohne Muckis»: ein Programm zur Mobbingprävention und -bekämpfung, entwickelt vom deutschen Mentaltrainer Daniel Duddek. «Die Kinder lernen in meinen Kursen präventiv, wie sie sich gegen Mobbing wehren können, damit sie gar nicht erst in eine Opferrolle schlittern», erklärt Enz. «Oder sie erfahren, wie sie es für sich erträglicher machen können, falls sie bereits gemobbt werden.»
So lernen die Kinder anhand von Rollenspielen, wie sie sich wehren können, wenn sie beispielsweise beleidigt werden oder wenn ihnen etwas weggenommen wird. Gemeinsam mit den Kindern erarbeite man in den Kursen Strategien, die im echten Leben schnell und einfach umsetzbar sind. «Damit die Welt für sie ein Stück besser wird.»
Verein zur Mobbingprävention in den Startlöchern
Petra Enz lernte in ihrer Weiterbildung viele Menschen kennen mit dem gleichen Ziel: dem Mobbing einen Riegel zu schieben. Sie alle teilen dieselbe Philosophie: «starke und glückliche Kinder gleich glücklichere Zukunft». In gemeinsamen Gesprächen und langen Zoom-Sitzungen entwickelte sich die Idee eines Vereins. Heldentrainer soll er heissen. Eine Plattform für Eltern, Kinder, Pädagogen und Erzieher, die sich dort über das Thema Mobbing austauschen und informieren können. Auch sind Workshops, Trainings, Vorträge und Anlässe Teil des Vereinsprogramms. Sieben Frauen seien derzeit involviert: «Aus Winterthur, Bern, Zollikon oder Obwalden. Wir sind also wirklich verteilt über die ganze Schweiz», so Enz. Im Frühling dieses Jahres solle der Verein offiziell gegründet werden.
Ihr Engagement gegen das Mobbing hat Petra Enz geholfen, die eigenen Erfahrungen aus der Kindheit zu verarbeiten. «Ich habe durch die Weiterbildung gelernt, das Ganze aus verschiedenen Perspektiven zu sehen, und weiss nun, wo die Fehler gelegen haben.» Heute sei sie darüber hinweg, aber trotzdem sagt sie: «Es ist abgehakt, aber sicher nie vergessen.»