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Luzern

Akuter Fachkräftemangel in Luzern: Bub mit Therapiebedarf erhält keine Logopädie mehr

Der Fachkräftemangel bei Logopädinnen ist im Kanton Luzern schon länger ein Thema – jetzt wurden gar bereits gesprochene Lektionen aufgrund von Personalmangel gestrichen. Eine Familie aus Luzern ist direkt betroffen: Sohn Robin hat Trisomie 21 und kann bis auf weiteres keine Logopädie mehr in Anspruch nehmen.
Der bald 7-jährige Robin (im roten Shirt) mit seinen Eltern und seinem Bruder.
(Bild: Dominik Wunderli (Luzern, 15. August 2020))

Pascal Linder

Robin ist mit Trisomie 21 auf die Welt gekommen. Er absolvierte das erste Kindergartenjahr bis im Juli im Sinne einer integrativen Sonderschulung im Regel-Kindergarten Maihofhalde. Dabei wurde er mit diversen Leistungen, wie zum Beispiel einer Stunde Logopädie pro Woche, unterstützt. Auf das zweite Kindergartenjahr hin wurden ihm nun sämtliche Logopädie-Stunden auf unbestimmte Zeit gestrichen. Die kantonale Dienststelle Volksschulbildung (DVS) begründet den Entscheid mit fehlenden Logopädinnen.

Der bald 7-jährige Robin kann kaum einzelne Sätze sprechen und wird im zweiten Kindergartenjahr ausschliesslich aufgrund des Fachkräftemangels in der Logopädie nicht mehr logopädisch therapiert – für die Eltern, die nicht namentlich genannt werden möchten, ein unverständlicher und unhaltbarer Zustand. Robins Vater sagt: «Für uns ist der Umstand umso stossender, da sich der Kanton schon seit Jahren Integration vor Separation auf die Fahne schreibt, aber offensichtlich nicht daran interessiert beziehungsweise gewillt ist, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.»

In der letzten Kindergartenwoche erfuhren die Eltern, dass es im Maihof zu einer Vakanz kommt, da die Logopädin für das aktuelle Kindergartenjahr anderen Stadtschulen zugeteilt wurde. Die Logopädin erzählte am Telefon, dass Robin deshalb auf unbestimmte Zeit keine Logopädie mehr erhalten würde. Kurz darauf erhielten Robins Eltern den Entscheid schriftlich von der Dienststelle Volksschulbildung.

Ursprünglicher Entscheid von DVS zurückgezogen

Vor einem Jahr hatte die DVS die Logopädie-Stunden für Robin für zwei Jahre gutgeheissen. Gemäss Bundesgesetz haben die Kantone nämlich dafür zu sorgen, dass Kinder mit einer Behinderung eine Grundausbildung erhalten, die ihren besonderen Bedürfnissen angepasst ist. «Ich kann nicht verstehen, dass die Logopädie-Stunden bei Robin gestrichen wurden», sagt die Mutter – sein Bedarf sei offensichtlich. Robin kann noch nicht richtig sprechen und sei deshalb dringend auf die Logopädie angewiesen. Für die Eltern ist klar, dass die bisherigen Logopädie-Stunden massgeblich für die Fortschritte von Robin verantwortlich sind. Die Mutter erklärt:

«Vor einem Jahr sagte er nur einzelne Wörter, jetzt kann er deutlicher sprechen und kann auch mehrere Wörter aneinanderhängen.»

Damit er lerne künftig auch ganze Sätze zu sprechen, um mit seinem Umfeld kommunizieren zu können, sei die Logopädie von grosser Bedeutung für ihn. Nebst ihrem Sohn würde die Streichung der Logopädiestunden acht weitere Schüler vom Maihof betreffen. Eine Auswahl von ein paar wenigen Schülern kann weiterhin in die Logopädie bei der bisherigen Logopädin, jedoch in einem anderen Schulhaus. Dabei entschied die Schulleitung nach dem Dringlichkeitsprinzip.

Beschwerde beim Bildungs- und Kulturdepartement eingereicht

Robins Vater sieht die Politik in der Verantwortung – der Fachkräftemangel sei schon länger ein Thema, geändert hätte sich bislang nichts. «Der Kanton sollte zum Wohl der Kinder und ihrer Integration in die Gesellschaft das Interesse haben, dass möglichst schnell Lösungen gefunden werden», sagt er. Mit seiner Frau habe er schon zahlreiche freischaffende Logopädinnen angefragt, ob sie noch Kapazität für Robin haben – bislang erfolglos. Es sei Sache der zuständigen Stellen und nicht der Eltern, das Problem zu beheben. Die Eltern erzählen, dass die Schulleitung und Robins ehemalige Logopädin zwar sehr bemüht seien, die vakante Stelle schnellstmöglich zu besetzen. Doch seitens Kanton würden sie kaum Bemühungen spüren. Robins Eltern haben nach dem Entscheid der DVS Beschwerde beim Bildungs- und Kulturdepartement eingereicht. Der Vater sagt:

«Die Beschwerde ist ein Zeichen, um den zuständigen Stellen zu zeigen, dass es sich bei der Logopädie um ein wichtiges Thema handelt, welches nicht einfach auf diese Art und Weise als erledigt betrachtet werden kann.»

Zudem würden sie mit der Beschwerde allen anderen Kindern eine Stimme verleihen, bei denen sich die Eltern nicht zu wehren wissen. Dieser Fall zeigt, dass der Fachkräftemangel im Kanton Luzern direkte Auswirkungen auf einzelne Kinder hat. Auch für Heidi Zutter, Co-Präsidentin vom Verband Logopädie Luzern ist der Logopäden-Mangel ein akutes Problem:

«Es wird zunehmend schwieriger, die nötigen Stellen im Kanton zu besetzen.»

Im Kanton Luzern seien im aktuellen Schuljahr mindestens 230 Stellenprozente bei der Logopädie unbesetzt. Die genauen Zahlen würden derzeit ermittelt werden – bis jetzt seien die Ergebnisse erst aus neun von 13 Schuldienstkreisen bekannt.

Lohnerhöhung kommt nicht in Frage

Was genau führt dazu, dass derart viele Logopädie-Stellen im Kanton Luzern unbesetzt sind? Einer der Hauptgründe seien die kantonalen Lohnunterschiede, sagt Zutter. Der Kanton Luzern stehe lohntechnisch schlechter da, als umliegende Kantone – gerade junge Berufsleute würden sich für jene Stellen entscheiden, bei denen sie besser verdienen. Eine generelle Lohnerhöhung für Logopädinnen ist gemäss Charles Vincent, Leiter der Dienststelle Volksschulbildung Luzern, der falsche Ansatz. «Wir können nicht bei einer Berufsgruppe den Lohn erhöhen, nur weil ein Mangel besteht.» Zudem könne sich der Kanton Luzern bei den Löhnen allgemein nicht mit Zug oder Zürich vergleichen. Eine Lohnerhöhung würde zwar das Problem kurzfristig vielleicht entschärfen, aber noch längst nicht lösen, ist Vincent überzeugt. Vielmehr müsse man anderswo Anpassungen vornehmen. Vincent relativiert:

«Es ist nicht so, dass wir eine Riesenlücke haben, wenn man in grösseren Schuldiensten einzelne Mitarbeitende ihr Pensum leicht erhöhen würden, dann wäre der Bedarf gedeckt.»

So will der Kanton das Problem lösen

Die Dienststelle Volksschulbildung hat in Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen von Schuldiensten eine Umsetzungshilfe mit Lösungsansätzen erarbeitet: Die logopädischen Reihenuntersuchungen in Kindergärten könnten künftig allgemein an die Lehrpersonen übergeben werden und es könnten vermehrt Gruppentherapien durchgeführt werden. Auch die einzelnen Therapiedauern sollen gemäss Vincent überprüft werden. Robins Vater sieht dabei die Sparmassnahmen des Kantons im Vordergrund – bei verkürzten Gruppentherapien kämen alle Kinder zu kurz, da jedes Kind andere Bedürfnisse habe. «Mit diesen Vorschlägen fühlt man sich nicht ernst genommen, im Gegenteil», sagt er. Insgesamt brauche es umfassende Lösungen, sagt Vincent. Diese sieht er vor allem in der Ausbildung. In der Zentralschweiz gibt es bis dato keine Ausbildungsmöglichkeiten – hier soll der Hebel angesetzt werden.

Die Eltern von Robin sehen den Kanton in der Pflicht, «endlich mal zu handeln, damit die unbefriedigende Situation möglichst bald für alle betroffenen Kinder und Eltern vom Tisch ist».

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