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Kommentar «Chefsache»

Achtung Digitalisierungsfalle: Unser Alltag ist auch immer analog

Solange es eine rein analoge Minderheit in unserer Gesellschaft gibt, müssen die öffentlichen Institutionen diese auch zuverlässig einbinden. Sei das nun beim Abfallkalender oder beim öffentlichen WC. Rein digitale Lösungen führen zur gesellschaftlichen Ausgrenzung – das darf nicht sein. 

Wann wird der Abfallsack in meinem Quartier abgeholt? In der Stadt Luzern wird der hierfür zu konsultierende Abfallkalender nicht mehr gedruckt und verteilt, die Bewohnerinnen und Bewohner sollen sich via App schlau machen.
Bild: Archivbild: Boris Bürgisser/Luzerner Zeitung

Selbstverständlich kaufen wir das Zug- oder Busbillett mit dem Handy, so wickeln wir auch die Bankgeschäfte ab. Die Heizung regulieren wir ferngesteuert. Die Pizza wird von zu Hause aus via Sprachbefehl über die Box mit künstlicher Intelligenz bestellt. Und auf gleiche Art lassen wir uns auch die Zeitung vorlesen. Wofür also braucht es in diesen volldigitalen Zeiten also noch so etwas wie einen auf Papier gedruckten Abfallkalender?

Diese Frage beantwortet die Stadt Luzern so: Sie druckt die 51'000 Exemplare nicht mehr und lanciert stattdessen ein Abfallkalender-App. Denn 30 bis 50 Prozent würde ungelesen im Altpapier landen. Ob das so stimmt, ist zweifelhaft, denn es gibt nur «grobe Schätzungen». Einen Spareffekt gibt es nicht. Zwar fallen die Druckkosten von 50'000 Franken weg, aber die App kostet nicht weniger. Und es wird auch eine Telefon-Hotline betrieben, wo man dennoch einen Ausdruck bestellen kann.

Ob diese kategorische Volldigitalisierung wirklich sinnvoll ist? Wir erinnern uns an die nicht zu Ende gedachte Umstellung beim Luzerner Bahnhof-WC, wo die SBB nur noch ohne Bargeld Eintritt gewähren wollten. Weil viele plastikgeldlose Ältere und ganz Junge dabei aussen vor blieben, ruderten die SBB zurück.

Nun, vergessen hat man die «alten» Analogen beim Abfallkalender nicht ganz. Die Pro Senectute hat den Auftrag gefasst, Seniorinnen und Senioren in Kursen zu vermitteln, wie sie von den «digitalen Möglichkeiten profitieren» können. Und wenn sie das gar nicht wollen? Die Pro Senectute plädiert dafür, dass «immer auch analoge Alternativen aufrechterhalten werden».

Die digitale Transformation ist zwar unaufhaltbar. Das ist grundsätzlich gut so im Sinne von Effizienz, Nachhaltigkeit und Transparenz. Aber Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Zu schnell und zu oft geht vergessen, dass unser Alltag nach wie vor auch sehr analog funktioniert. Gerade die öffentlichen, den Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger verpflichteten Instanzen haben darum zuverlässig dafür zu sorgen, dass die Digitalisierung ohne gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung vorangetrieben wird. Und zwar so lange es noch einen rein analogen Teil in der Bevölkerung gibt.

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