Es war sein erster Gleitschirmflug in grösserer Höhe – und bis auf weiteres vermutlich auch sein letzter. Denn die Landung verlief an jenem Januartag vor vier Jahren alles andere als geplant. Zunächst schien noch alles wunschgemäss zu funktionieren. Der Flugschüler aus dem Kanton Schwyz startete am Mittag in Engelberg unter Anleitung der Starthelferin in die Luft. Vom Boden aus instruierte ihn sein Fluglehrer danach über jeden zu vollziehenden Schritt.
Auf eines konnte ihn der Lehrer jedoch offenbar nicht vorbereiten. Vom Boden aus konnte er nicht erkennen, dass sich seinem Schüler eine Schülerin einer anderen Flugschule näherte. Er habe plötzlich einen Schatten von oben herkommen sehen, beschreibt der Schüler die Situation in einer späteren Einvernahme. Dann sei sein Schirm zusammengeklappt, worauf er schnell an Höhe verloren habe und schliesslich zu Boden geprallt sei. Dabei verletzte er sich lebensgefährlich. Mit der Rega wurde er anschliessend ins Luzerner Kantonsspital geflogen.
Staatsanwalt und Kläger zogen Urteil beide weiter
Der gestürzte Schüler zeigte seinen Fluglehrer später wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung an, ebenso tat dies die Obwaldner Staatsanwaltschaft. Jedoch ohne Erfolg – das Obwaldner Kantonsgericht sah es nicht als erwiesen an, dass sich der Fluglehrer etwas hat zu Schulden kommen lassen. Sowohl der verunfallte Schüler als auch der Staatsanwalt zogen den Fall aber ans Obergericht weiter – wo er am Mittwoch erneut verhandelt wurde.
Zentral war dabei einerseits die Frage, ob der Lehrer seinen Schüler angesichts der hohen Zahl an Gleitschirmen in der Luft, die sich vom Prachtwetter hatten anziehen lassen, überhaupt hätte starten lassen dürfen. Andererseits, ob er die Kollision nicht hätte voraussehen und entsprechende Kommandos hätte geben müssen, um sie zu vermeiden. Zudem habe er vor dem Erstflug seines Schülers dessen Theorietest nur kurz angeschaut und diesen nicht näher mit ihm besprochen.
«Das ist ein normales Vorgehen», sagte der heute 56-jährige Obwaldner Fluglehrer dem Obergerichtspräsidenten auf dessen Frage, ob er auch in anderen Fällen auf diese Weise mit den Theorietests umgehe. Der Fragebogen sei bis auf eine Frage ausgefüllt gewesen. Er habe seinen Schüler vor dem Erstflug gefragt, ob es noch offene Punkte gebe, was aber nicht der Fall gewesen sei. Sein Schüler habe zudem alle Voraussetzungen für den Flug erfüllt. «Wir waren bereits am Übungshang und hatten Start und Landung trainiert gehabt.»
Unklare Anzahl anderer Gleitschirme
Als umstritten erwies sich in der Verhandlung, ob die Anzahl der anderen Gleitschirme, die an diesem Tag ebenfalls in der Luft waren, nun normal, hoch oder gar zu hoch war, um den Schüler auf seinen Erstflug zu schicken. Wie viele es konkret waren, konnte auch der Fluglehrer dem Gerichtspräsidenten nicht sagen. «Das Gebiet ist ja gross. Es waren vielleicht 30 bis 40. Zwischen dem Start- und dem Landeplatz war der Weg aber frei.»
Gemäss Staatsanwalt habe jedoch auch der Beschuldigte selber in einer Befragung davon gesprochen, es seien «zu viele» andere Schirme in der Luft gewesen. Und auch die Schülerin, die mit dem Verunfallten zusammengestossen ist, habe ausgesagt, es habe an jenem Tag viel mehr Leute als üblich in der Luft gehabt. Als «paradox» bezeichnete der Verteidiger die Frage nach der Anzahl anderer Flieger. «Bei schönem Wetter hat es immer mehr Leute.» Zugleich seien das die idealen Wetterbedingungen für einen Erstflug. So einen führe man ja nicht bei Regen durch.
Auch die Frage, ob sich der Lehrer denn vor beziehungsweise nach dem Zusammenstoss korrekt verhalten hatte, förderte erwartungsgemäss unterschiedliche Antworten zu Tage. Der Lehrer verneinte, vom Boden aus gesehen haben zu können, dass sich eine Kollision anbahnt. Danach habe er dem Schüler jedoch per Funk jene Instruktionen gegeben, die den Schirm noch hätten stabilisieren können. Ob sein Schüler diese auch ausgeführt habe, sei für ihn aber nicht zu beurteilen gewesen. Es sei zu schnell gegangen.
Beschuldigter sieht Fehler bei anderer Schülerin
Der Staatsanwalt argumentierte hingegen, der Beschuldigte hätte zumindest ein Nachlassen der Thermik – einen Aufwind, der durch Lufterwärmung entsteht und Gleitschirme nach oben trägt – voraussehen können, welches dann auch dazu führte, dass sich plötzlich viele Gleitschirmpiloten ans Landen machten. Hierdurch kamen sich diese schliesslich auch näher. Entsprechend hätte er seinen Schüler auf ein solches Ereignis vorbereiten müssen.
Der Beschuldigte indessen sieht den Fehler bei jener Schülerin, die seinem Schüler in den Schirm geflogen sei. «Sie hätte keine Kreise mehr fliegen müssen auf dieser Höhe.» Sein Schüler habe als tiefer fliegender Schirm den Vortritt gehabt, hielt der Verteidiger fest. Der Staatsanwalt hingegen fand, der Beschuldigte habe seinen Schüler zu tief und somit falsch eingewiesen.
Bedingte Geldstrafe und Schadenersatz gefordert
Während der Staatsanwalt die bereits vor Kantonsgericht gestellte Forderung, der Fluglehrer sei mit einer bedingten Geldstrafe von 2200 Franken und einer Busse von 500 Franken zu bestrafen, wiederholte, forderte der Verteidiger abermals einen Freispruch. Der verunfallte Schüler verlangte zudem Schadenersatz und Genugtuung in noch unbestimmter Höhe.
Ob auch das Obergericht den Fluglehrer freisprechen wird, zeigt sich in den kommenden Tagen, wenn es sein Urteil den Parteien schriftlich mitteilt.