Mely Schillig
Früher, als ich noch jung war, also vor gut einem Jahr, sah die Welt noch anders aus. Ich griff nach den Sternen und knüpfte mir eine Halskette daraus. Jagte fliegenden Mardern nach und tanzte mit wehenden Fahnen durch die Nächte. Kurz, ich lebte, lebte, lebte.
Bis eines Morgens dieses Plastikstäbchen zwei Striche anzeigte. Zwei! Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Der Test ist kaputt. Ganz klar. Aber trotzdem. Wer weiss? Schnell in die Apotheke einen neuen Test kaufen. Drauf pinkeln, warten. Zwei Striche. Freude, Angst, weiche Knie. Ich schluckte ins Leere. Ist es wirklich wahr? Da drin in meinem Bauch wächst ein kleiner Mensch?! Wenn man den beiden Plastikstäbchen glauben schenken will, ja. Ja? Ja! Die Yoga Stunde am Mittag lasse ich sausen, um meinem Mann die frohe Botschaft zu überbringen. Ungläubig sehen wir uns an.
Erster Arztbesuch. Nervös rutschen wir im Wartezimmer auf den Stühlen rum. Nasse Hände, trockener Hals und dann hören wir zum ersten Mal den flatternden Herzschlag unseres Kindes. Die Plastikstäbchen hatten also recht. Wir sind schwanger. Wir werden eine Familie. Die wilden Nächte werden kürzer, die Einkaufslisten länger. Der Bauch wird grösser und grösser und mit ihm wächst auch die Nervosität. Und über allem die Frage aller Fragen. Ist es ein Mädchen oder ein Junge? Ich will es wissen, mein Mann nicht, das Kind zeigt es nicht. Aber das spielt keine Rolle, es scheinen sowieso alle bereits zu wissen, was es wird. Dein Bauch ist klein, es wird ein Junge. Keine Übelkeit, ein Mädchen. Die Haut ist rein, ein Junge. Die Haare matt, ein Mädchen. Junge, Mädchen, Junge, Mädchen... Uns schwirrt der Kopf.
Eins ist auf jeden Fall klar, wir brauchen für beide Optionen einen Namen. Das grosse Grübeln beginnt. Der Mädchenname ist erstaunlich schnell gefunden. Bei den Knaben stockt es. Die Liste wird länger und länger. Der Termin rückt näher. Ich will es eigentlich noch immer wissen, er nicht, das Kind zeigt es nicht.
Eine Ärztin fragt uns im vollen Ernst, wie wir das nun mit dem Einrichten des Kinderzimmers machen. Hellblau oder Rosa? Wir dachten, wir hätten uns verhört. Noch eine Woche. Der Kinderwagen steht bereit. Das Tragetuch wurde Probe gewickelt. Die putzig kleinen Babykleider sind eingeräumt. Der Name fehlt. Wir einigen uns auf drei Favoriten. Und am nächsten Mittag ist es da. Ein Wunder. Die Welt bleibt stehen, spult zurück und wieder nach vorn. Es ist unglaublich. Unser Universum verändert sich um 360 Grad. Dehnt sich und macht einen Knoten um unsere kleine Tochter Elisa.
Begonnen mit den zwei Strichen auf dem Plastikstäbchen neun Monate zuvor. Wir starten in einen neuen Lebensabschnitt, zu dritt. Der Marder dreht weiter seine Runden durch die Nächte. Ich lasse ihn ziehen. Mein Platz ist jetzt hier. Und ich lebe. Lebe, lebe, lebe. Ach ja, und die drei Knabennamen haben sich wohl mit dem Marder aus dem Staub gemacht. Ich wollte sie zur Erinnerung aufschreiben, aber tja, sie sind weg. Elisa ist da.