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Luzern

«80 bis 85 Prozent unserer Patientinnen und Patienten kommen freiwillig in die Psychiatrie»

Am Freitag und am Samstag öffnet die Luzerner Psychiatrie ihre Türen für die Bevölkerung – auch im eben fertiggestellten «Haus C», das 36 Millionen Franken kostete. Julius Kurmann, Chef Stationäre Dienste, erklärt, wie der Neubau auf moderne Behandlungen abgestimmt ist.
Julius Kurmann im Neubau der Luzerner Psychiatrie in St. Urban. (Bild: Nadia Schärli (16. November 2018)
Der Neubau «Haus C»Luzerner Psychiatrie in Sankt Urban.

Interview: Urs-Ueli Schorno

Interview: Urs-Ueli Schorno

Julius Kurmann, die Behandlungsmethoden haben sich verändert. Wie wird das im Neubau Haus C architektonisch abgebildet? Heute steht die Beziehung zum Patienten im Mittelpunkt. Es wird auf Augenhöhe miteinander gesprochen. Der Neubau wird drei alterspsychiatrische und zwei Spezialstationen beherbergen – für Rehabilitation, Depressionen und Stressfolgeerkrankungen. Architektonisch wurde er so konzipiert, dass die Privatsphäre noch mehr geachtet wird. Die Patienten erhalten mehr Raum für sich selber und um sich in der Gemeinschaft zu treffen. Welchen Einfluss hat die Umgebung auf die Genesung?Die offen gestaltete, einladende Umgebung unterstützt das Aufgehobensein und die Hoffnung, dass sich der Zustand bessern kann. Zudem verfügt der Neubau für die alterspsychiatrischen Stationen im Aussenbereich über einen Demenzgarten. Beim Farbkonzept und der Ausgestaltung der Einrichtung wurden die besonderen Bedürfnisse älterer Menschen berücksichtigt.Gibt es das Stigma der Psychiatrie als Art Gefängnis noch?Die verschiedenen nationalen und kantonalen Entstigmatisierungskampagnen der letzten Jahre zeigen eine gewisse Wirkung. Auch die Luzerner Psychiatrie und die Partner im Versorgungsnetzwerk bemühen sich kontinuierlich im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit, die moderne und patientenorientierte Psychiatrie den Menschen bekannt zu machen und Stigmata abzubauen.Und doch: Leicht bringt man das Vorurteil nicht weg.Es wird in den Medien in den letzten Jahren vermehrt positiv über die Psychiatrie berichtet. Trotzdem haben Sie recht; wenn jemand nicht selber von einer psychischen Erkrankung betroffen ist oder keine Angehörigen hat, die an psychischen Erkrankungen leiden und die auch nicht beruflich mit der Psychiatrie verbunden sind, korrigieren sich Vorurteile nur sehr schwer. Oft kann erst die eigene Betroffenheit oder Konfrontation mit der Psychiatrie das Bild verändern.Wie zeichnet sich eine moderne, stationäre Psychiatrie aus?80 bis 85 Prozent unserer Patientinnen und Patienten kommen freiwillig in die Psychiatrie. Im Rahmen des Aufnahmegespräches, bei dem in der Regel auch Angehörige oder Vertrauenspersonen mit dabei sind, werden Behandlungsziele besprochen und ein Behandlungsplan erstellt. Wir achten darauf, dass die Patienten in partnerschaftlicher Art und Weise die Therapien und deren Verlauf mitbestimmen können.In welcher Form geschieht diese Mitbestimmung?Die Patienten erhalten regelmässige Einzelgespräche mit einem Arzt oder Psychologen. Es werden verschiedene Therapien angeboten wie Ergotherapie, Kreativtherapien, Bewegungstherapie, Arbeitsagogik sowie verschiedene gruppentherapeutische Angebote. Die Behandlungsziele werden regelmässig überprüft. Besonderes Augenmerk liegt auf der sorgfältigen Vorbereitung der Entlassung, da wir uns bewusst sind, dass Übergänge vom stationären in den ambulanten Rahmen sehr schwierig sein können.Wie lange dauert eine stationäre Therapie?Eine stationäre Therapie dauert in der Regel sechs bis acht Wochen.Wann ist eine stationäre Massnahme angezeigt, wann eine ambulante?Primär soll man versuchen, beispielsweise ein Burn-out ambulant zu behandeln. Hochproblematisch finde ich aber Folgendes: Oft werden die Betroffenen 100 Prozent krankgeschrieben und es wird keine Behandlung durchgeführt. Einfach nur zu Hause zu bleiben, bringt nichts. Eine stationäre Behandlung ist dann angezeigt, wenn der Betroffene sich zu Hause nicht selber strukturieren kann oder wenn er einer ambulanten Behandlung nicht nachgehen kann. Eine stationäre Behandlung kann auch angezeigt sein, wenn einfach ein Abstand von allem wichtig wird. Quasi ein Time-out, um sich über die jetzige Situation Gedanken zu machen, selbst einmal eine Standortbestimmung zu machen. Oder natürlich auch, wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt.Gerade Stresserkrankungen wie Burn-out werden heute als «Modekrankheiten» wahrgenommen. Was entgegnen Sie diesem Vorurteil?Stressfolgeerkrankungen gab es immer schon. Was heute anders ist: dass der psychische Stress die körperlichen Belastungen überholt hat. Die psychischen Anforderungen an jeden einzelnen Menschen sind gestiegen. Modekrankheit ist oft abwertend gemeint. Eine Krankheit wählt man sich nicht aus. Vielmehr kann es jeden von uns treffen.Work-Life-Balance ist ein viel zitierter Begriff in diesem Zusammenhang. Welche Lebensführung beugt einer Stresserkrankung vor?Eigentlich ist Work-Life-Balance ein unsinniger Begriff – die Arbeit gehört ja auch zum Leben. Wichtig sind aber folgende individuellen Strategien nach einer Burn-out-Entwicklung: Zunächst, sich ein Gleichgewicht zwischen Arbeit und Entspannung schaffen; Zeitdruck abbauen; die eigenen Ansprüche überdenken, auch einmal lernen «Nein» zu sagen; sich Zeit nehmen für Aktivitäten wie Kultur, Sport, Entspannungsmethoden. Und vor allem Arbeit an sich selber. Etwa, indem unrealistische Erwartungen wie beispielsweise «ich bin für alles verantwortlich» aufgegeben werden.

Hinweis

Tag der offenen Tür der Luzerner Psychiatrie in St. Urban: Freitag, 30. November von 14 bis 19 Uhr sowie am Samstag, 1. Dezember, 9 bis 16 Uhr.

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