Stephan Santschi
Morgen Samstag steht in Ruswil traditionsgemäss der «Schnellste Rusmeler» auf dem Programm. Für einmal messen sich die Teilnehmer aber nicht in Sprints über 60 Meter, nein, in diesem Jahr kommt alles um einiges grösser daher. Am «run4rusmu» bestreiten Teams und Einzelstarter einen Hindernislauf über mehrere Runden (ab 14.45 Uhr), anschliessend folgen der Pasta-Plausch und eine After-Run-Party mit der Liveband Sternenlicht.
Der Grund für das Spektakel ist ein doppeltes Jubiläum: Die Aktivriege des STV Ruswil wird 135 Jahre alt, die Jugendriege feiert den 100. Geburtstag. «Es ist ein Anlass für das Volk, der ein neues Kapitel unserer Geschichte schreiben soll», sagt OK-Präsidentin Sharon Schmidli.
Rückblick: Als der ETV Ruswil, wie er damals hiess, 1883 als siebter Turnverein im Kanton Luzern gegründet wurde, sollte er gemäss den Statuten der «allseitigen körperlichen Ausbildung, Verbreitung der Turnkunst, Weckung edler vaterländischer Gesinnung und Förderung eines eigenen gesellschaftlichen Lebens» dienen. Doch in der Gesellschaft machte sich grosser Widerstand breit, «viele standen den Turnern sehr kritisch gegenüber», erzählt Werner Wandeler. Das 67-jährige Ehrenmitglied des STV hatte die Festschrift zum 100-Jahr-Jubiläum geschrieben und dabei festgestellt: «Es brauchte Rückgrat, um mitzumachen. Die Gründung eines Turnvereins war nicht revolutionär, etwas Neues war sie aber definitiv.»
Wenn die Frauen turnen, wird der Vorhang gezogen
In der von der Landwirtschaft geprägten Gemeinde, in der die Menschen von früh bis spät hart arbeiteten, sah man nicht ein, weshalb auch am Abend noch körperliche Ertüchtigung nötig sein sollte. «Auch die Behörden waren nicht in enthusiastischer Stimmung, die Aktivriege hat sich jeden Kiesplatz zum Trainieren erkämpfen müssen. Erst 1913 wurde die erste Turnhalle gebaut», berichtet Wandeler.
Später folgte die Skepsis von Politik und Kirche, wobei Letzterer vor allem das Frauenturnen ein Dorn im Auge war. Dem weiblichen Geschlecht wurden die Turnübungen schliesslich nur nach strikten bischöflichen Kriterien erlaubt, wozu neben einem langen Rock auch das Verbot für öffentliche Auftritte gehörte. «Wenn die Frauen in der Halle übten, mussten die Fenster zugedeckt werden, damit niemand hineinschauen konnte. Heute schmunzeln wir darüber. Damals aber hat es heftige Auseinandersetzungen gegeben», so Wandeler. Im Jahr 1957 ist sogar von einem Eklat die Rede, als Ruswiler während eines Turnerabends aus Protest den Rössli-Saal verliessen, weil sie die Röcke der Damen als zu kurz erachteten.
Heute zählt der STV Ruswil mit den verschiedenen Sektionen über 400 Mitglieder und ist in der 7000-Einwohner-Gemeinde eine Institution für Jung und Alt. «Vor allem das Geräteturnen boomt», sagt Mathilde Bachmann (58). Sie ist wie Werner Wandeler Ehrenmitglied im Verein. «Vielleicht liegt es daran, dass bereits Zweitklässler damit beginnen können oder an Vorbildern wie Ariella Kaeslin und Giulia Steingruber», sagt Bachmann. Ein fester Bestandteil im Jahresprogramm war und ist die Turnshow, wo «von hochstehender Turnkost bis zu lustigen Darbietungen ein guter Mix geboten wird», wie Mathilde Bachmann ausführt.
Willy Angst und Donghua Li schaffen Historisches
Auch grössere Anlässe organisierte der STV Ruswil immer wieder. Hierzu zählen das Luzerner Kantonalturnfest 1982 mit über 4000 Turnern oder die Länderkämpfe mit Südafrika, Norwegen und den USA. Einen Namen machte sich Willy Angst, als er 1936 an der Olympia in Berlin im Ringen den fünften Platz belegte. Donghua Li, der spätere Olympiasieger des BTV Luzern, war in Ruswil im Jahr 1994 zum ersten Mal Schweizer Meister geworden.
Die eigene Jugend sorgte derweil an den Eidgenössischen Turnfesten in Bern (im Jahr 1996, 1. Rang) und in Baselland (im Jahr 2002, 2. Rang) für nationales Aufsehen.