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Kommentar «Chefsache»

11-Millionen-Schweiz? Bevölkerungswachstum ist kein Naturereignis – wir entscheiden mit

Die Migration ist der Primärtreiber des Bevölkerungswachstums in der Schweiz. Gemessen an den Bauzonen hat es noch für weitere Millionen Menschen Platz - und das sorgt für Unbehagen. Zum Glück kann die Schweiz als Demokratie das Wachstum eigenständig in vernünftige Bahnen lenken.

Immer mehr Menschen leben im Kanton Luzern - im Bild Pendler im Bahnhof. 
Bild: Archivbild LZ

«Werden wir zum 11-Milionen-Land?» Dieses Wachstumspotenzial ist laut einem Immobilienentwickler möglich. Heute hat die Schweiz rund 8,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Mit Berechnungen aufgrund von Bauzonen und Flächenverbrauch pro Kopf sind die Potenziale je nach Kanton unterschiedlich. Luzern etwa hätte Platz für weitere rund 34'000 Menschen nebst den heutigen 420'000. Luzern selber prognostiziert wiederum anders und kommt gar auf zusätzliche 97'000 Einwohner.

Die Vorstellung einer so bevölkerungsreichen Schweiz weckt auch Unbehagen, wie die Rückmeldungen aus unserer Leserschaft zeigen. Klar ist: Das Bevölkerungswachstum hat sich beschleunigt. Noch dieses Jahr könnte die 9-Millionen-Grenze überschritten werden. An den Geburten liegt das nicht. Schweizerinnen gebären ähnlich wenige Kinder wie in anderen europäischen Ländern, durchschnittlich rund 1,5. Treiber des Anstiegs ist die stark wachsende Zuwanderung.

Die Schweiz ist ein kleines Land, der Platz entsprechend beschränkt. Mit dem Schlagwort «Verdichtung» wird das Wachstumspotenzial oft zusammengefasst – das wird der Komplexität des Themas allerdings nur ungenügend gerecht. Das Bevölkerungswachstum führt zu ernstzunehmenden Ängsten: Platz-, Wohlstands-, Identitätsverlust. Insbesondere der Migrationsanteil sorgt für äusserst kontroverse Diskussionen. Unbedarfter Multikultigeist trifft auf verklärte Jodlerromantik.

Bevölkerungswachstum ist kein Naturereignis, das ein Staat über sich ergehen lassen muss. Es sind aber nicht Immobilienentwickler, die mit ihren Prognosen die Linien vorzugeben haben. Und gesellschaftspolitisch gefährlich ist es gar, wenn man wie die SVP mit Abschottungsforderungen die unrealistische Vorstellung von einer Insel-Schweiz einpflanzen will.

Nichtsdestotrotz bestimmen wir in unserem direktdemokratischen Staat zum Glück noch immer selber, in der öffentlichen und politischen Debatte, wie wir das Wachstum steuern wollen: Mit klugen, vorausschauenden Planungen für Infrastruktur, Verkehr, Energie, Raumplanung und ja, auch in Sachen Migration. Aufhalten können wir den Bevölkerungsanstieg nicht. Aber zumindest in vernünftige Bahnen lenken.

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