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American Football

Zwischen Anklageband und Millionenvertrag

Deshaun Watson kassiert in den nächsten fünf Jahren 230 Millionen Dollar - obwohl nicht weniger als 24 Frauen dem Quarterback vorgeworfen haben, sie sexuell belästigt zu haben.
Bild: KEYSTONE/AP/David Dermer

Sue Robinson fand deutliche Worte. Die von der Football-Liga NFL und der Spieler-Gewerkschaft als neutrale Instanz eingesetzte frühere Bundesrichterin sah es als erwiesen an, dass Deshaun Watson Frauen "mit unerwünschten sexuellen Kontakten" belästigt habe und sperrte diesen für sechs Spiele - nur sechs Spiele, wie sofort moniert wurde.

Aufhorchen lässt Robinsons Begründung für die milde Strafe. Sie könne nicht anders wegen der Tradition von ähnlichen Spielsperren in der NFL. Erst seit zwei Jahren urteilt eine unabhängige Instanz über solche Vergehen, zuvor war der allmächtige NFL-Chef (Commissioner) Roger Goodell Ankläger und Richter in Personalunion - und als solcher alles andere als daran interessiert, seine Starspieler und Werbeträger zu lange aus dem Verkehr zu ziehen.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Angesichts des öffentlichen Aufschreis blieb Goodell nun fast nichts anderes übrig, als Rekurs einzulegen und eine längere Sperre zu fordern. So könnte es für Watson doch noch teuer werden, auch wenn er strafrechtlich wohl ungeschoren davon kommt.

Sperre auch ohne Gerichtsverhandlung

Deshaun Watson ist ein Paradebeispiel für den paradoxen Umgang in den USA mit ihren Sportstars. Nach aussen zeigt man sich zwar streng. In Europa undenkbar, kann man in Amerika gesperrt und gebüsst werden für Verfehlungen im Privatleben. Dazu gehören zum Beispiel, angetrunken Auto zu fahren oder häusliche Gewalt. Auch dann, wenn es nie zu einer Verurteilung vor Gericht oder - wie jetzt im Fall von Watson - nicht einmal zu einer Anklage kommt. Begründet wird dies jeweils mit "rufschädigendem Verhalten". Die Strafen fielen jedoch immer sehr moderat aus, denn die Spieler sitzen letztlich am längeren Hebel.

Deshaun Watson gilt als einer der besten Quarterbacks der Liga - ein Ausnahmetalent auf dieser entscheidenden Position, das fast jedes Team entscheidend besser machen würde. Dazu ist er mit bald 27 Jahren im besten Alter und hat eine potenziell noch lange Karriere vor sich. Nach vier Jahren beim notorischen Verliererteam Houston Texans hatte er die Nase voll und weigerte sich trotz laufendem Vertrag zu spielen. Damit wollte er einen Wechsel erzwingen, doch wegen des laufenden Verfahrens wollte niemand das Risiko eingehen, ihn zu verpflichten. So setzte er die letzte Saison komplett aus.

Ähnliches ist auch in der Basketball-Liga NBA zu beobachten. Der zweifache Champion und MVP Kevin Durant unterschrieb vor genau einem Jahr einen Vierjahres-Vertrag über 198 Millionen Dollar bei den Brooklyn Nets. Nun ist er aber unzufrieden und stellte seinen Klub vor ein Ultimatum: ich oder das Trainerteam muss weg.

Doch noch ein Rekordvertrag

Watson hat mittlerweile eine Organisation gefunden, denen die sportlichen Fähigkeiten wichtiger sind als die menschlichen Defizite. Nachdem eine Jury in Texas es zweimal abgelehnt hatte, den NFL-Star anzuklagen und er sich zivilrechtlich mit 23 der 24 Frauen aussergerichtlich geeinigt hatte, unterschrieb er bei den verzweifelt nach einem Erfolg lechzenden Cleveland Browns einen Fünfjahres-Vertrag über garantierte 230 Millionen Dollar. So viel bekam noch nie ein Football-Spieler.

Watson selbst beteuert standfest seine Unschuld, und tatsächlich konnte ihm bisher kein fehlerhaftes Verhalten nachgewiesen werden. Dennoch geht es für ihn um viel, wenn über die Höhe seiner Sperre verhandelt wird. Goodell, sonst sehr machtbewusst, hat die heisse Kartoffel bereits weitergereicht. Er wählte den ehemaligen Generalstaatsanwalt von New Jersey, Peter Harvey, für die Behandlung des Rekurses aus.

Schwieriger Grundsatz-Entscheid

Bleibt es bei den sechs Spielen Sperre, kostet dies Deshaun Watson schlappe 345'000 Dollar - angesichts der Gesamt-Lohnsumme ein Klacks. Nach drei Spielen dürfte er wieder mittrainieren, für die entscheidende Phase der Meisterschaft (17 Spiele Regular Season, dann Playoffs) stünde er wieder auf dem Platz. Die Liga und die TV-Stationen hätten einen ihrer Stars wieder. Sollte er für eine ganze Saison gesperrt werden, spürt er dies auch auf dem Bankkonto schmerzhafter. Auch würde sich die Frage stellen, wie konkurrenzfähig er nach zwei Jahren ohne Wettkampf noch wäre.

Der Entscheid wird wegweisend sein und stellt den amerikanischen Sport vor einen schwierigen Grundsatz-Entscheid. Die Leute an den Schalthebeln der grossen Profiligen müssen sich entscheiden, was für sie mehr zählt: der Druck der öffentlichen Meinung in einer Zeit, in der Amerika Fehltritte immer weniger toleriert, oder der Schutz von zugkräftigen Stars. Sollte Watsons Strafmass deutlich verschärft werden, ist absehbar, dass dieser vor Gericht ziehen würde. Rechtlich gesehen ist er ja unschuldig, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist. (sda)

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