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Ski alpin

Weltcup, Personelles

Gesamtweltcup-Sieger Marco Odermatt nutzt seine hohe Begabung als Skirennfahrer optimal. Er hat auch deshalb Erfolg, weil er sich selbst bleibt.

Was genau ist denn jetzt das Bewundernswerteste an diesem Besonderen, der so gar nicht besonders sein möchte? Was hat er, was andere nicht haben? Antworten zu finden ist schwierig. Odermatts Stärken sind zu vielschichtig, um eine einzelne Begabung hervorzuheben. Auf jeden Fall versteht er es wie kaum ein anderer, die für den Erfolg nötigen Komponenten zu bündeln und in den entscheidenden Momenten abzurufen. Er hat die Fähigkeit, auf der Piste stets das Richtige zu tun.

Das liest sich nach perfektem Skirennfahrer. Das ist Odermatt aber beileibe nicht. Im Alter von 24 Jahren sieht er sich noch längst nicht als kompletten Athleten. Dies würde auch nicht zu seinem Naturell passen. Er ortet weiterhin Potenzial zur Verbesserung, das Lernen ist für ihn ein anhaltender Prozess. Es sind zwar nur noch geringfügige Justierungen, die er vorzunehmen hat. Aber diese Details sind auf seinem Level umso wichtiger, um die nächsten Entwicklungsschritte machen zu können.

Die Leichtigkeit des Fahrens

Bewunderung erheischt Odermatt mit seiner "Leichtigkeit des Fahrens". Er meistert auch das Schwierige offenbar mühelos. Es macht den Eindruck, als würde er mit dem Berg spielen. Doch auch hier trügt ab und zu der Schein. Auch Odermatt macht Fehler. Aber, und das hebt ihn ebenfalls von vielen seiner Konkurrenten ab, er macht den gleichen Fehler nur einmal. Und wenn er einen Fehler macht, hat er meist die Lösung zur Korrektur parat. So passiert zuletzt im Riesenslalom bei den Olympischen Spielen in Peking, in dem er sich von einem schweren Patzer im ersten Lauf nicht aus der Goldspur werfen liess.

Fehler haben, so kurios es tönt, auch ihr Gutes. Sie sind der Beweis dafür, auf welch schmalem Grat sich die Skirennfahrer bewegen, wie nahe Erfolg und Misserfolg beieinander liegen. Sie führen vor Augen, dass Siege und Spitzenplätze auch für einen Hochbegabten wie Odermatt keine Selbstverständlichkeit sind.

Odermatt weiss um die Zerbrechlichkeit des Leistungshochs. Rückschläge sind für ihn Bestandteil seines sportlichen Alltags. Er weiss damit umzugehen. "Das war das erste nicht wunschgemäss verlaufene Wochenende in diesem Winter", sagte er vor einer Woche nach den drei Rennen in Kvitfjell. "Das kanns geben. Aber das geht schon in Ordnung." Seine Demut und sein Realismus lassen ihn schnell über die Enttäuschung hinwegkommen.

Die Fahrten zu Olympia-Gold in China stehen auch für andere Werte, die Odermatt auszeichnen. Er bewahrte die Ruhe, er hielt dem immensen Druck stand, auch dem selber auferlegten, und er verstand es, dank seiner mentalen Stärke die Emotionen auszublenden und die Konzentration auf seine Aufgabe aufrecht zu erhalten. Er fühlte sich bereit, Risiken einzugehen, sich am Limit und ab und zu auch darüber hinaus zu bewegen.

Es war die nächste bestandene Reifeprüfung für den Frühreifen, für den nun mit dem Sieg im Gesamtweltcup der nächste Höhepunkt in einer Karriere folgte, die bisher nur in eine Richtung verlief.

Druck und Erwartungshaltung kannte Odermatt schon lange. Seit er vor vier Jahren an den Junioren-Weltmeisterschaften in Davos vier Einzeltitel und auch noch Gold mit dem Team gewann, wurde er das Etikett des grossen Hoffnungsträgers in unserem Land nicht mehr los. Mahnungen, dass Siege und Medaillen bei internationalen Nachwuchs-Wettkämpfen noch längst keine Garantien für spätere Erfolge sind, wurden in den Wind geschlagen. Odermatt konnten die Diskussionen nichts anhaben. Das verbale Schulterklopfen nahm er bestenfalls zur Kenntnis. Er ging seinen Weg konsequent weiter - abgeklärt und geerdet.

Das intakte Umfeld

Odermatt lässt sich vom Erfolg nicht blenden. Er ist sich seiner zentralen Rolle bewusst, weiss aber seit jeher auch um die Wichtigkeit eines intakten Umfelds, auf das er sich verlassen, in dem er abschalten kann - sei es in seiner Familie, in der Normalität gelebt wird, sei es im Kreis seiner Kollegen, in dem er nicht der beste Skifahrer der Gegenwart, sondern einfach der Marco ist, sei es in seiner Trainingsgruppe unter der Leitung des umsichtigen Trainers Helmut Krug, in der er und seine Fahrerkollegen sich gegenseitig zu Höchstleistungen antreiben.

Odermatt braucht eine Basis des Vertrauens. Auf dieser Grundlage baut er Kontinuität auf. Mit der Luzerner Firma Stöckli etwa hat er seit 13 Jahren den gleichen Skiausrüster, ein Ende des Miteinanders ist trotz des nach der nächsten Saison auslaufenden Vertrages nicht in Sicht. Daran ändern auch das Interesse grösserer Unternehmen der Branche und die Möglichkeit auf attraktivere Rahmenbedingungen nichts. Verhandlungen mit anderen Skifirmen hat es keine gegeben. Odermatt weiss, was er an Stöckli hat - und umgekehrt.

Eine solch lange Liaison passt zu einem, der sich stets selber treu geblieben ist. Das Authentische hilft ihm nicht nur auf, sondern auch abseits der Piste. Er profitiert davon in vielerlei Hinsicht. Die Mischung aus Professionalität und Bodenständigkeit, gepaart selbstredend mit seinen Erfolgen, haben ihm unter anderem die Tür zu Partnerschaften mit anerkannten Unternehmen geöffnet.

Seit drei Jahren ist Odermatt einer der Botschafter der Uhrenmanufaktur Longines, seit vergangenem Mai ist der Getränke-Hersteller Red Bull sein Hauptsponsor. Diese Zusammenarbeit, die erste ihrer Art eines Schweizer Alpin-Fahrers überhaupt, verleiht ihm nicht nur in finanzieller Hinsicht Flügel. Sie bietet auch im sportlichen Bereich zusätzliche Perspektiven und weitere Annehmlichkeiten.

Dazu hat er Individual-Verträge mit zwei der wichtigsten Partner von Swiss-Ski abgeschlossen, mit der Bank Raiffeisen und, als erster Schweizer Skifahrer in den letzten 40 Jahren, mit der japanischen Sportbekleidungs-Firma Descente.

Annehmlichkeiten wie Flüge im Privatjet sieht Odermatt pragmatisch. Sie sind für ihn Mittel zum Zweck, um wie am Sonntag in Slowenien den durch das gedrängte Programm bedingten Reisestress auf ein erträgliches Mass reduzieren zu können. Die Sonderbehandlung nimmt er gerne in Anspruch - ohne Hintergedanken, etwas Besonderes zu sein. (sda)

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