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Fussball-EM 2024

Welch ein Losglück: Auf dem Weg nach Deutschland kann unsere Nati nur über die eigenen Füsse stolpern

Israel, Rumänien, Kosovo, Belarus und Andorra: Das sind die Schweizer Gegner in der Qualifikation für die Fussball-EM 2024. Es hätte viel schlimmer kommen können. 

Schweiz gegen Kosovo: Wie ein Spiel zwischen grossem und kleinem Bruder.
Bild: Freshfocus

Party feiern in Tel Aviv. Zollfrei shoppen in Andorra. Alte Kollegen in Pristina treffen. Eine Prise Ostalgie in Minsk einatmen. Und ein architektonisch spannender Exkurs in Bukarest. Es hätten spannungsarmere Destinationen sein können für das Schweizer Nationalteam auf dem Weg an die EM 2024 bei unserem grossen Nachbar Deutschland.

Das Los hat es gut gemeint mit der Nati. Sie trifft in der EM-Qualifikation auf Gegner, die noch gar nie an einer EM dabei waren wie Israel, Kosovo, Belarus und Andorra. Oder eben auf die Rumänen, deren Glanz von einer jahrzehntealten Staubschicht verdeckt wird. Und weil sich von 53 Nationen immerhin 23 qualifizieren, also die zwei Erstplatzierten jeder Gruppe direkt, tönt es eher nach Understatement, wenn Nati-Trainer Murat Yakin von einer «machbaren Aufgabe» spricht. Man könnte auch sagen: Alles andere als die Qualifikation für die EM 2024 wäre aus Schweizer Sicht ein Desaster.

Gutes Los aus Topf 2: Karl-Heinz Riedle zieht Israel als schwierigsten Gegner der Schweiz.
Bild: Keystone

Es hätte durchaus ungemütlicher werden können. Beispielsweise, wenn der frühere deutsche Nationalspieler Karl-Heinz Riedle der Schweiz aus Topf 2 nicht Israel, sondern England, Frankreich oder Serbien zugelost hätte. Oder, wenn aus Topf 3 nicht die Rumänen, sondern Erling Haaland mit seinen aufstrebenden Norwegern, Schweden, Irland oder die Ukraine in unserer Gruppe gelandet wären.

Erinnerungen an ungemütliche Spiele gegen Israel

Der Respekt gebietet, dass Yakin auch sagt: «Wir werden die EM-Qualifikation sehr seriös angehen. Denn wir werden gefordert sein.» Er selbst war als Nationalspieler ausgerechnet gegen Israel ein letztes Mal gefordert. Im Oktober 2004. Die Schweiz spielte in Tel Aviv 2:2.

Knapp ein Jahr später folgte ein 1:1 zu Hause und später der beschwerliche Weg nach Istanbul, wo sich die Schweiz für die WM 2006 in Deutschland das Ticket sicherte. Auch in der Qualifikation zur WM 2010 traf die Schweiz auf Israel und musste sich mit zwei Remis begnügen.

Seither ist einiges passiert. Die Schweiz näherte sich der europäischen Spitze an, während Israel im Mittelmass verharrte. Immerhin: Die Nations League schloss man als Gruppensieger ab, was den Aufstieg in die höchste Liga zur Folge hat. Aber damit hat es sich mit Ausrufezeichen. An einer EM - Israel ist seit 1996 Uefa-Mitglied - war man noch nie. Und die letzte Teilnahme an einer WM liegt nun schon mehr als 50 Jahre zurück.

Murat Yakins (rechts) letzter Auftritt als Nationalspieler am 9. Oktober in Israel gegen Yossi Benayoun. (links: Patrick Müller)

Während Israel bei den letzten vier Duellen mit der Schweiz mit Yossi Benayoun (Liverpool, Chelsea, Arsenal) auf einen Individualisten der gehobenen Klasse zählen konnte, sucht man heute einen Spieler dieser Güteklasse vergeblich. Manor Solomon, der für diese Rolle vorgesehen ist, ist beim überraschend starken Aufsteiger Fulham nur zweite Wahl.

Der frühere GC-Stürmer Munas Dabbur muss sich in Hoffenheim mit der Jokerrolle abfinden. Und Stürmer Shon Weissmann macht mit Aufsteiger Valladolid die Erfahrung, dass es in der höchsten Spielklasse Spaniens einiges schwieriger ist mit dem Toreschiessen als in der letzten Saison (20 Treffer).

Kosovo ist stärker einzustufen als Rumänien

Auf dem Papier der drittstärkste Gegner ist Rumänien. Aber die Rumänen sind nicht mal mehr eine schlechte Kopie jener Mannschaft, die in den 90er-Jahren international für Furore gesorgt hat. Jüngst haben die Osteuropäer in der Nations League sogar ihren Platz in der B-Liga verloren. Tabellenletzter in einer Gruppe mit Bosnien-Herzegowina, Finnland und Montenegro.

Ein Überbleibsel aus der goldenen Ära ist den Rumänen geblieben: Hagi. Nicht Gheorghe, der der einst für Real Madrid und den FC Barcelona zauberte, sondern dessen Sohn Ianis. Aber dieser hat wegen einer Knieverletzung seit Januar kein Spiel mehr für seinen Klub, die Glasgow Rangers, bestritten. Und bei aller Liebe für den schottischen Fussball: Real und Barça, das ist schon noch mal was anderes.

Jordan Lotomba (Zweiter von links) gleicht im März dieses Jahres im bislang einzigen Länderspiel gegen den Kosovo zum 1:1 aus.
Bild: Keystone

Europas jüngstes Kind, der Kosovo, ist der schwierigere Gegner als Rumänien. Zu diesem Urteil kommt, wer die Abwehrchefs und Starstürmer der beiden Teams vergleicht. Der Rumäne Vlad Chiriches spielt im Spätherbst seiner Karriere beim Serie-A-Hinterbänklerklub Cremonese. Während der Kosovare Amir Rrahmani als Innenverteidiger einen Stammplatz bei Serie-A-Spitzenreiter Napoli hat. Und Dennis Man stürmt wenig erfolgreich beim Serie-B-Klub Parma. Während Vedat Muriqi für Mallorca auch gegen Real Madrid trifft.

Die Partien gegen Kosovo sind sowieso speziell. Allein, weil etwa die Hälfte der Equipe von Trainer Alain Giresse einen Bezug zur Schweiz hat. Da sind die FCZ'ler Fidan Aliti und Mirlind Kreziu, Goalie Arijanet Muric, in Schlieren aufgewachsen und bei GC und Machester City ausgebildet. Betim Fazliji, der Ostschweizer Dialekt spricht. Donat Rrudhani, der letzte Saison für Aarau und nun für YB spielt. Florent Hadergjonaj, der im Emmental gross geworden ist. Oder der frühere FCB-Künstler Edon Zhegrova.

Die Statisten aus Belarus und Andorra

Belarus, fünfmal grösser aber nur eine Million mehr Einwohner als die Schweiz, ist fussballerisch ein Zwerg. In der Nations League ist man eben erst in die tiefste Liga abgestiegen, weil man in der Gruppe mit Kasachstan, Aserbaidschan und der Slowakei den letzten Platz belegte. Einen Fussballer, der über die Landesgrenze hinaus bekannt ist, findet man nicht. Ebenso wenig in Andorra. Wobei das allein aufgrund der Grösse nicht erstaunt. Der Pyrenäen-Staat hat nur gerade 77'000 Einwohner.

Ziemlich ungemütlich: Denis Zakaria im Andorra-Sandwich.
Bild: Keystone

Unsere Nati bekommt in der EM-Qualifikation eine dankbare Pflichtaufgabe vorgesetzt. Aber sie tut gut daran, sich an ihren bislang einzigen Auftritt in Andorra zu erinnern. Es war in der Qualifikation für die WM 2018, als man auf dem Kunstrasen von Andorra la Vella eine unansehnliche Vorstellung bot und lediglich mit 2:1 gewann.

Es soll eine Warnung sein, was dieser Mannschaft selbst gegen bescheidene Gegner passieren kann, wenn sie behäbig und überheblich auftritt. Anders formuliert: Auf dem Weg an die EM 2024 kann die Nati nur über die eigenen Füsse stolpern.

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