Stephan Santschi
«Es war aufregend, ich habe mich aber auch etwas gefürchtet. Dieser Berg war etwas zu hoch für mich.» Annayka Legros lacht, wenn sie an den Ausflug auf den Pilatus denkt. Erst seit rund drei Wochen lebt die 23-jährige Amerikanerin in Sarnen, den Luzerner Hausberg hat sie aber bereits kennen gelernt.
So ungezwungen sie über ihr Sightseeing in schwindelerregender Höhe spricht, so zugänglich gibt sie sich in ihrem neuen Team. «Nyka macht es uns leicht, sie zu integrieren. Sie spricht viel, umarmt ihre Teamkolleginnen. Sie tanzt immer mal wieder, wenn Musik läuft, oder singt während Auswärtsfahrten im Bus lauthals mit», erzählt Nik Buser, der Trainer von Volleya Obwalden. Kurz: «Sie bringt gute Stimmung rein. Nyka ist ein Quell positiver Energie.»
Volleya-Profi darf nur spielen, nicht ausbilden
Annayka Legros ist die erste Profispielerin in der Geschichte des Vereins. Letzte Saison spielte sie in der NLB für den Ligakonkurrenten Genève, mit dem sie in die NLA aufstieg. «Ich wollte meine Fähigkeiten auf dem Weg zu einer dominanten und cleveren Spielerin weiterentwickeln», erzählt die Mittelblockerin. Deshalb kehrte sie nach ihrem ersten Auslandengagement in die USA zurück – in der Hoffnung, dass sich ein Klub aus einer besseren Liga melden würde. Die gewünschte Anfrage aber traf nicht ein, und als sich Sarnens Nik Buser bei ihr meldete, war ihr bald klar: «Die Verbindung passt, hier kann ich etwas lernen.»
Bis Ende Saison steht sie bei der Volleya unter Vertrag, erhält eine Wohnung, ein Generalabonnement und einen Basislohn. Möglich machen dies verschiedene Sponsoren, «die Vereinskasse wird nur wenig belastet», sagt Sportchef Roger Büchler. Nach der Kaderverjüngung und dem Abgang von zwei Mittelblockerinnen sah man sich zum Handeln gezwungen. «Wir wollen in Obwalden weiterhin leistungsorientierten Volleyball anbieten. Dazu brauchen wir Vorbilder wie Legros, an denen unsere Talente hochblicken können», erklärt Büchler. Aufgrund von arbeitsrechtlichen Bestimmungen dürfe sie aber nur in der 1. Mannschaft zum Einsatz kommen und keine Nachwuchstrainings leiten.
Untergebracht ist Annayka Legros in einem Studio im Elternhaus von Teamkollegin Eirin Krummenacher. «Zuerst war ich nervös, weil jeder eine andere Vorstellung von einem Haushalt hat und ich für niemanden eine Belastung sein will», erzählt Legros. Die Bedenken lösten sich rasch in Luft auf, «als ich das erste Mal durch die Türe trat, fühlte ich mich als Teil der Familie».
Hammerwerferin inspiriert mit einer Rede
Aufgewachsen ist sie in Kennesaw im Bundesstaat Georgia im Südosten der USA. Die 33 000-Einwohner-Stadt unweit der Metropole Atlanta gelangte zu internationaler Bekanntheit, weil das Gesetz jeden Haushalt zum Waffenbesitz auffordert. In der Praxis wird dieses Recht aber nicht durchgesetzt, «davon weiss ich nichts», sagt Legros und grinst. Im Frühling 2017 machte sie an der Coastal Carolina University ihren Bachelor in Biologie. Die feierliche Rede hielt Amber Campbell, die ebenfalls an dieser Universität studiert hatte. 2016 verpasste die Hammerwerferin an den Olympischen Spielen in Rio knapp die Bronzemedaille. «Hört nicht auf jene, die sagen, dass es keinen Sinn macht, was ihr tut. Währenddessen könnt ihr dreimal an Olympischen Spielen teilnehmen und die Welt bereisen», sagte Campbell. Worte, die Legros inspiriert haben: «Im Moment fühlt es sich so an, als würde ich für immer Volleyball spielen. Meine Karriere ist komplett, wenn ich an Olympischen Spielen teilgenommen habe.»
Vorderhand steht aber der Kampf um die NLB-Playoffs im Fokus. Nach sechs Runden liegt Volleya Obwalden fünf Zähler hinter dem vierten Platz zurück. Am Samstag, im Heimspiel gegen NLB-Leader Züri Unterland (15.30 Uhr) hoffen die Obwaldnerinnen mit Hilfe von Legros auf Bonuspunkte. «Für die anderen Spielerinnen ist es sehr spannend, weil sich Nyka auf eine andere Weise mit dem Spiel auseinandersetzt», berichtet Trainer Nik Buser. Ihm war sie aus der letzten Saison noch bestens in Erinnerung, weil sie im Tie-Break des Playoff-Duells in Sarnen fast im Alleingang für den 3:2-Sieg der Genferinnen verantwortlich zeichnete. «Mit ihrer Grösse von 1,95 Metern ist sie für unsere vergleichsweise klein gewachsene Equipe eine Bereicherung. Ihr grosses Angriffspotenzial ist bisher zwar noch nicht wunschgemäss zur Geltung gekommen. Nyka gewöhnt sich aber langsam an unser Tempo und die Abstimmung mit den Passeusen wird in jedem Training besser.»
Auch bei seinem Neuzugang hat Buser Verbesserungspotenzial ausgemacht. «In der US-Collegeliga darf der Libero anstelle einer Mittelblockerin servieren, deshalb ist Nykas Aufschlag noch etwas roh. Mit ihrer Grösse hat sie aber auch hier viel Potenzial.» Zudem wirke ihr Bewegungsablauf wegen der langen Gliedmassen ab und zu etwas unrund. «Wir möchten ihr in allen Spielelementen die Werkzeuge für den nächsten Schritt mitgeben.
Frauen, NLB. Samstag: Volleya Obwalden – Züri Unterland (15.30, Vereinshalle, Sarnen). Steinhausen – Luzern (17.00, Sunnegrund).