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Sport

Viel Zuneigung und auch ein wenig Neid: So schauen unsere Ski-Rivalen in Österreich auf Marco Odermatt

Dieses Wochenende kann sich Marco Odermatt den Riesenslalom-Weltcup sichern - und den Kampf um den Gesamtweltcup vorentscheiden. So schaut man in Österreich auf den Schweizer Skistar.
Steht vor einem entscheidenden Wochenende: Marco Odermatt. (Gabriele Facciotti / AP)
Olympiasieger Matthias Mayer. (Erik Johansen / EPA)

Peter Gerber

Peter Gerber

Marcel Hirscher hat kommen sehen, was da auf Österreich zukommt. Und zwar schon lange vor diesem Wochenende, an dem sich Marco Odermatt in Kranjska Gora den Riesenslalom-Weltcup sichern kann - und im Gesamtweltcup das Polster auf Aleksander Aamodt Kilde, den auf Platz zwei lauernden Norweger, entscheidend ausbauen will.

Im Januar 2019 war Hirscher einer der ersten Österreicher, die Marco Odermatt über «den grünen Klee» gelobt haben. Damals gewann der Salzburger den Riesenslalom von Adelboden. Der 21-jährige Odermatt fuhr auf den zehnten Platz. Hirscher schwärmte: «Der kann Gesamtweltcupsieger, Olympiasieger werden – alles, was er möchte.» Spätestens mit diesem verbalen Ritterschlag des Ski-Wunderwuzzis und Nationalhelden schlechthin ist Odermatt auch in Österreich zum Thema geworden.

Der genaue Beobachter

Der Nidwaldner wird im Land des ewigen Ski-Rivalen im Osten geschätzt. Auch von direkten Konkurrenten. «Das Selbstbewusstsein, mit dem Odi in diesem Winter aufgetreten ist, die Freude, die er ausstrahlt, sind beneidenswert. Wie er alles beim Skifahren auf den Punkt gebracht hat, ist grossartig. Ich habe mir gesagt: von diesem Gefühl, mit welchem Odi jeweils runterfährt, muss ich mir etwas abschauen.»

Dieses Hinschauen hat offensichtlich gefruchtet. Die am vergangenen Donnerstag ausgesprochenen Worte stammen von keinem Geringeren als von Matthias Mayer, dem Mann, der den Olympia-Super-G in Peking gewonnen hat.

Der Sinn für Realität

Wie Mayer sehen viele Experten und im Ski-Zirkus tätige Österreicher den 24 Jahre alten Odermatt in ganz hellem Licht. Politikwissenschaftler und Buchautor Peter Filzmaier zum Beispiel. Der 54 Jahre alte Wiener – als Jugendlicher mit Berufswunsch Sportjournalist unterwegs – gilt in Sachen Sport als «wandelndes Lexikon».

Aus seiner Sicht sei Marco Odermatt in Österreich zu lange unterschätzt worden. «Das lag an der allgemeinen Euphorie rund um Marcel Hirscher, der als Seriensieger alles überstrahlt hat. Deshalb wurde 2018, als Odermatt bei der Junioren-WM abgeräumt hat, verdrängt, dass hier ein neuer Superstar heranwächst», sagt Filzmaier.

Die jüngsten Olympischen Spiele hätten die österreichische Realitätsverweigerung noch verstärkt, da Johannes Strolz in China überraschend zum Star geworden sei und Matthias Mayer wieder Gold gewonnen habe. «Odermatts Gold im Riesenslalom ist da untergegangen, so Filzmaier. Auf Dauer könne aber nicht einmal die österreichische Seele mit ihrer «selektiven Wunschwahrnehmung» verdrängen, dass der kompletteste Skifahrer im laufenden Jahrzehnt ein Schweizer sei und nach der Ära Hirscher die Ära Odermatt beginnen werde.

Das Wunschdenken

Grundsätzlich lautet der Tenor in Österreich, dass die Schweiz um die lukrativste Ski-Aktie der nächsten Jahre zu beneiden ist. Und das nicht nur wegen Odermatts Leistungen auf der Piste. Der Nidwaldner, der von einem österreichischen Energydrink-Hersteller gesponsert wird, kommt mit seiner natürlichen Art gut an und hat die Sympathien vieler Österreicher auf seiner Seite.

Christian Höflehner, Rennchef von Skihersteller Atomic in Altenmarkt, hätte den Stöckli-Fahrer gerne unter Vertrag. Er sagt: «Der Marco ist eine der ganz grossen Persönlichkeiten der Szene. Er wird er unseren Sport während Jahren prägen. Auch als Typ kommt er einfach gut an und er belebt die Skiszene. Wie jede andere Skifirma hätten auch wir bei Atomic den ‹Odi› gerne in unserem Stall.» Nicht nur bei der Schweizer Skifirma Stöckli in Malters, bei der Odermatt unter Vertrag steht, dürfte die Sichtweise eine andere sein.

Der Arbeitsauftrag

Georg Streitberger hat in seiner Weltcup-Karriere in den Jahren zwischen 2000 und 2017 drei Weltcup-Rennen gewonnen. Den heute 40-jährigen ÖSV-Nachwuchstrainer verbindet mit Odermatt die Tatsache, dass er 16 Jahre vor dem Schweizer auch Junioren-Weltmeister im Riesenslalom geworden ist. Als Konkurrenten begegnet sind sich die beiden nie.

«Odermatts WM-Titel 2016 bei den Junioren habe ich mitbekommen. Richtig aufgefallen ist er mir dann aber 2018 mit den fünf WM-Goldmedaillen und dem Umstand, dass er in den Speed-Rennen beim Weltcup-Final in Are in die Punkte gefahren ist.»

Als Nachwuchstrainer der österreichischen Speed-Fahrer wirft Streitberger immer wieder einen Blick über die Grenze, und auch er kommt an Odermatt nicht vorbei. «Er kommt authentisch und sympathisch rüber. Er ist trotz der Erfolge, die sich schon in jungen Jahren eingestellt haben, am Boden geblieben. Solche Muster-Athleten, die Talent und Charakter vereinen, wünscht sich jeder Trainer.»

Natürlich habe er auch talentierte Athleten in seinem Team. Solche, die demnächst im Weltcup auftauchen werden, verspricht Streitberger. «Aber einen so vielseitigen Fahrer, der gleich in drei Disziplinen Siege einfahren wird, sehe ich nicht. Noch nicht, aber wir arbeiten daran.»

Der «neidlose Neid»

Geht es um Odermatt, schauen die Österreicher voller Bewunderung über die Landesgrenze, sagt Oliver Polzer. «Die Ohren haben jedem Ski-Fan nach den fünf WM-Titeln 2018 läuten müssen. Ab da war klar, dass da eine Lawine auf uns zurollt», sagt der Skisport-Journalist des österreichischen Fernsehen ORF.

Odermatt sei eine angenehme Erscheinung, ein freundlicher Kerl und sehr wortgewandt. «Er hat einen Wortwitz und Schmäh, dass jedes Interview mit ihm eine Freude ist.» Neidisch dürfe man nach den fetten Jahren dank Tüftler und Perfektionist Hirscher nicht sein, sagt Polzer. «Wer den Skisport liebt, der hat ganz einfach Freude am gewaltig fahrenden Instinkt-Skifahrer Odermatt. Auch wenn dieser auf der falschen Seite der Grenze zuhause ist.»

Egal mit wem man in Österreich im Zusammenhang mit dem Nationalstolz und Nationalsport Skifahren über Marco Odermatt spricht, immer wieder ist die Rede «vom jungen Burschen». Die Österreicher blenden aus, dass der Nidwaldner bereits 24 Jahre alt ist.

Für TV-Mann Oliver Polzer liegt diese Wahrnehmung daran, dass Odermatts erfolgreiche Junioren-WM von 2018 noch immer präsent ist und auf der anderen Seite mit Johan Clarey ein 41-Jähriger gezeigt hat, dass man auch im höheren Alter eine Olympia-Medaille gewinnen kann. «Gerade in den Speed-Disziplinen ist die Routine wichtig. Aber Marco ist schon als vergleichsweise junger Abfahrer erfolgreich. Deshalb ist er eben ein ‹junger Bursche›, der noch viele gute Jahre vor sich hat.»

Fakt ist, dass Marcel Hirscher seine erste von letztlich acht grossen Kristallkugeln 16 Tage nach seinem 23. Geburtstag überreicht bekommen hat. Marco Odermatt könnte seine erste beim Weltcupfinal in Courchevel/Meribel 163 Tage nach dem 24. Geburtstag erhalten.

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