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Unihockey, WM Männer in der Schweiz, Story

Seit bald zehn Jahren ist Tim Braillard aus dem Unihockey-Nationalteam nicht mehr wegzudenken. Die Heim-WM soll den Karriere-Höhepunkt des 29-Jährigen bilden. Doch das Timing ist nicht ideal.

Tim Braillard, wie fast alle Unihockeyspieler neben dem Sport berufstätig, mangelte es nie an Zielstrebigkeit und Fleiss. Doch dieses Mal schoss der Bündner über das Ziel hinaus. Anstatt mit einer Gewichtsreduktion seine Agilität zu optimieren, warf ihn ein Kaloriendefizit aus der Bahn.

"Für ihn wäre es sicher besser gewesen, wenn er ein Jahr mehr Zeit bis zur WM gehabt hätte", sagt Nationaltrainer David Jansson, ohne seinem Leistungsträger vor der am 5. November beginnenden Heim-WM in Zürich und Winterthur das Vertrauen zu entziehen. Für Braillard ist es die vierte WM, und angesichts der Auftritte vor Heimpublikum im gut gefüllten neuen Multisport-Komplex in Zürich-Altstetten und in der Ballsportarena in Winterthur ist es zweifelsohne die speziellste. Er ist bereit, aber die Rückschläge in der jüngeren Vergangenheit sind nicht ohne Spuren geblieben.

Anführer der wilden Malanser

Rückblende in die Saison 2012/13. Mit 20 Jahren steigt Tim Braillard in seine zweite komplette Spielzeit mit dem Fanionteam seines Stammklubs Alligator Malans. Bereits im ersten Jahr hat er 15 Tore und 12 Vorlagen in 31 Spielen verbucht. So ist es nur logisch, dass Braillard zu einem Leader in der jungen Mannschaft wird, die die Liga auf furiose Art und Weise aufmischt und am Ende Wiler-Ersigen nach sechs Titeln in Folge vom Meister-Thron stösst.

"Ich mag die Art, wie sie spielen - das Pressing, die Aggressivität, den Fleiss", sagt Jansson 2015 bei seinem Amtsantritt als Schweizer Nationalcoach über die wilde Malanser Fraktion um Braillard, Claudio Laely, Remo Buchli und Kevin Berry. An Braillard, der seine Ausbeute 2014/15 (und in den folgenden zwei Saisons) auf über 50 Punkte schraubt, schätzt er vor allem die Spielintelligenz - die Übersicht, mit der er seinen Block als Center steuert, wie er Chancen und Gefahren frühzeitig erkennt und für die richtige Balance zwischen Defensive und Offensive sorgt.

Warum Braillard im Junioren-Alter vom Bündner Trainer Thomas Berger nicht für die U19-Nationalmannschaft aufgeboten wurde, ist für Jansson unergründlich. "Als er später mit Malans die Liga aufmischte, war er so auffällig, dass man ihn gar nicht übersehen konnte. Sogar meine Schwiegereltern haben von dem Spieler mit der Nummer 3 geschwärmt." Andererseits sehe man im Sport viele Spätzünder, relativiert der Schwede.

2022 ist Janssons Wertschätzung für Braillard ungebrochen, auch wenn das Timing der Heim-WM für den Teamplayer aus der Bündner Herrschaft nicht ideal ist. "Wenn er auf seinem Top-Level ist, ist er nicht nur gut, sondern extrem gut. Das lässt sich nicht übersehen." Braillard sei überaus effizient in beide Richtungen, offensiv und defensiv. "Er mag Spielkontrolle und kann auch Vollgas geben. Er ist ein bisschen der Prototyp für diese Momentum-Sachen, auf die wir an der bevorstehenden WM besonderen Wert legen."

Neben der Spielintelligenz und dem vorzüglichen Auge für Mit- und Gegenspieler war die Physis immer ein Kennzeichen Braillards. Mit seinen 1,70 m Körpergrösse gehört der 29-jährige zwar zu den kleineren Spielern im Nationalteam, seine Fitness und Robustheit machen die Zentimeter in der y-Achse aber mehr als wett.

Gewichtsabnahme mit Nebenwirkungen

Das ist nach wie vor so, obwohl ihn der Körper schon länger ausbremst. Ab 2017, vier Jahre nachdem er sich bei einem Autounfall an der Wirbelsäule verletzt hatte, zwingen ihn Rückenschmerzen mehrmals zu Auszeiten. Seit mehr als zwei Jahren diktiert ein Stechen im Knie wegen eines angerissenen Meniskus den Trainingsplan, zudem verrannte er sich im Sommer im besagten Energiedefizit.

Braillard ernährt sich schon lange bewusst. Die Gewichtsabnahme fällt ihm leicht und verfehlt die erhoffte Wirkung anfangs nicht. Dass ihm durch die kleineren Portionen die Kalorien für den Leistungssport fehlen, merkt er erst, als er mit sieben Kilogramm weniger auf der Waage in den Hammer läuft. Zu spät, erst als ihm im Sommertraining komplett die Energie ausgeht, stellt er fest, dass er täglich bis zu 2000 Kalorien zu wenig aufnimmt. "Ich bin in ein totales Loch gefallen, war im Training saft- und kraftlos", schildert er.

Rechtzeitig für die Heim-WM hat Braillard die Probleme in den Griff bekommen. Wobei er Überbelastungen im Knie tunlichst vermeiden muss. Es ist eine Gratwanderung auch angesichts der drei Kilogramm, die er sich wieder angelegt hat. (sda)

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