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Fussball international

Twitter-Gewitter über den Fussballern

Sportlich spielen die Schweizer Fussballer an den Olympischen Spielen 2012 in London nur eine Nebenrolle. Nach einem rassistischen Tweet von Michel Morganella stehen sie aber plötzlich doch im Fokus.
Michel Morganella stellte sich 2012 mit einem rassistischen Tweet ins olympische Abseits
Bild: KEYSTONE/PETER KLAUNZER

Die Olympischen Spiele von London waren die ersten "Twitter-Spiele". Fast alle Athleten hatten die sozialen Medien entdeckt. Keiner mehr, der sich nicht über Twitter oder Facebook über das Essen in der Kantine ausliess. Der nicht Bilder seiner spartanischen Unterkunft um den Globus schickte. Oder der postete, was er an seinem freien Tag unternahm.

Dass auch Spitzensportler in dieser vogelfreien Welt der offenen Kommunikation nicht vor Fehltritten gefeit sind, erfuhr man während der Spiele in London immer wieder. Schon einen Tag vor der Eröffnungsfeier etwa musste die griechischen Dreispringerin Voula Papachristou abreisen; sie hatte sich abschätzig über afrikanische Flüchtlinge in ihrer Heimat ausgelassen.

Der Nächste, der ein Twitter-Gewitter mit Blitz und Donner entfachte, war am fünften Tag der Spiele der Schweizer Fussballer Michel Morganella. "Ich könnte alle Südkoreaner verprügeln. Geht euch abfackeln, Bande von geistig Behinderten", hatte er auf seinem später geschlossenen Account @morgastoss getwittert. Vulgär, primitiv, rassistisch! Der damals 23-jährige Morganella, der Walliser Fussballer von Palermo, mit dem extravaganten Erscheinungsbild, mit Irokesen-Frisur und mit von Tattoos übersäten Armen; er hatte auf diese Art die Niederlage tags zuvor im olympischen Fussball-Turnier gegen Südkorea verarbeitet.

"Es gab keinen Kompromiss"

Nachdem die französischsprachige Online-Ausgabe von "20 Minuten" die Twitter-Nachricht aufgenommen hatte, liessen scharfe Kommentare von Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld und FIFA-Präsident Sepp Blatter nicht lange auf sich warten. Die SFV-Delegation weilte in Cardiff, doch die Kommunikation orchestrierten Swiss Olympic und "Chef de Mission" Gian Gilli von London aus. Morganella wurde unverzüglich nach Hause geschickt. "Er hat als Mitglied des Schweizer Olympia-Teams das südkoreanische Volk beleidigt, diskriminiert und in seiner Würde verletzt. In diesem gravierenden Fall gab es keinen Kompromiss", erklärte Gilli an einer kurzfristig anberaumten Konferenz im Haupt-Pressezentrum.

Der Twitter-Blitz von Morganella war zumindest nicht aus heiterem Himmel gekommen. Die erste Teilnahme einer Schweizer Fussball-Auswahl an Olympischen Spielen seit 84 Jahren stand von Beginn weg unter einem schlechten Stern. Im Vorfeld der Spiele hatten nicht wenige auf eine Medaille geschielt. Nicht zu Unrecht, denn mit Yann Sommer, Ricardo Rodriguez, Fabian Schär, Granit Xhaka, Admir Mehmedi, Josip Drmic und Xherdan Shaqiri sowie den "Quoten-Ü23-Spielern" Valon Behrami und Diego Benaglio stand für olympische Verhältnisse im Prinzip eine hochqualifizierte Auswahl zur Verfügung. Viele von ihnen waren schon damals Stammspieler in der A-Nationalmannschaft.

Von A bis Z misslungene Mission

Doch als es für die Schweiz am Fussball-Turnier losging, fehlten Xhaka und Shaqiri, Sommer und Behrami. Sie erhielten von ihren Arbeitgebern keine Freigabe oder verzichteten mehr oder weniger freiwillig, um die Saisonvorbereitung mit ihren Klubs nicht zu verpassen. Die Enttäuschungen auf dem Rasen folgten auf dem Fuss. Die Schweiz wurde mit nur einem Punkt Gruppenletzter. Wobei dies sportlich noch nicht einmal eine Bankrotterklärung war. Die SFV-Auswahl hatte gegen Südkorea und Mexiko knapp verloren; gegen Teams, welche am Ende Bronze und Gold holten.

Doch eben: Das Twitter-Foul von Morganella nach dem zweiten Vorrundenspiel steht für den peinlichen Schweizer Fussball-Auftritt an den Spielen 2012. Wegen dieses Tweets wurden die Fussballer innerhalb der olympischen Familie vollends ins Abseits gestellt. Bereits das Hin und Her um das Aufgebot hatte die Sportszene irritiert. Für die meisten Athleten ist die Teilnahme an Olympischen Spiele der Höhepunkt der Karriere. Da wollte manch einer partout nicht verstehen, wie sich die verwöhnten Jungmillionäre zieren konnten, an diesem globalen Sportfest dabei zu sein.

Dass die Fussballer in London nie zum inneren Zirkel von Swiss Olympic und des globalen Sportfestes gehörten, war aber nicht alleine ihre Schuld. Sie spielten in Newcastle im Norden, in Coventry in den Midlands und in Cardiff in Wales. Das olympische Dorf war für sie weit weg. Sie waren für die anderen Athleten nicht greifbar. Als man sie dann endlich vernahm, war es ein Gezwitscher mit schiefen Tönen. Und Morganella? Die Twitter-Affäre hat seiner Karriere zumindest nicht geholfen. Von Hitzfeld wurde er nur noch einmal aufgeboten, und im Klub tingelte er meist durch die italienische Provinz. Derzeit steht er beim Serie-B-Tabellenletzten Livorno unter Vertrag. (sda)

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