Rainer Sommerhalder
Ein Hurrikan bewegt sich auf China zu. Mit Schweizer Absender. Denn so ist der Name des neusten und zugleich schwierigsten Sprungs von Freestyler Noé Roth. Full – Triple Full – Full heisst dieses Kunststück in der Fachsprache. Salto mit einer Schraube, danach Salto mit drei Schrauben und zum Dessert noch einmal Salto mit einer Schraube lautet der Produktebeschrieb für den Laien.
Den drei Begriffen gemein ist die Tatsache, dass Noé Roth diesen Sprung noch nie in einem Wettkampf gezeigt hat. Beim Weltcup in Kanada auf einer Schanze, welche dem 21-jährigen Zuger besonders behagt, war die Premiere geplant. Wegen Problemen mit der Patellasehne im Knie musste Roth dann aber unmittelbar vor Olympia eine Wettkampfpause einlegen.
Pause zur Unzeit wegen einer Knieverletzung
So sitzt der junge Schweizer Ausnahmesportler in Kanada in einem Hotelzimmer und erzählt von seinen Ambitionen für die Olympischen Spiele, während sich seine Teamkollegen auf der Schanze den letzten Schliff für China holen. Trotz der alles andere als idealen Vorbereitung ist Roth guten Mutes, dass sich das fehlende Training im Wettkampf nicht nachteilig auswirken wird. Zumindest sein Selbstvertrauen hat unter den Kniebeschwerden nicht gelitten.
Von seinem Olympiatrumpf «Hurricane» gibt es für den Aerials-Profi bislang nur Trainingseindrücke und keine Gewissheit, dass es im Ernstkampf klappt. Wobei Noé Roth ein ausgesprochener Wettkampftyp ist und seine beste Leistung dann zeigt, wenn es zählt. Lampenfieber kennt er kaum.
Wenn der Sohn des langjährigen Nationaltrainers Michel Roth und von Skiakrobatik-Pionierin Colette Roth-Brand (Olympiabronze 1998 in Nagano) den Supersprung in Peking steht, liegt die Medaille auf dem Serviertablett bereit. Denn Roth ist im Aerials eine grosse Nummer. In der vorletzten Saison gewann er die Weltcupwertung, 2019 wurde er Weltmeister mit dem Team und Dritter im Einzelwettkampf.
Auch in China eröffnen sich dem risikofreudigen Sportler doppelte Medaillenchancen. Erstmals wird bei Olympischen Spielen ein Mixed-Wettbewerb ausgetragen. Das kompakte Schweizer Team geht mit Ambitionen und einem ausgesprochenen Teamgeist an den Start.Bei den Männern ragten zuletzt die Springer aus China heraus. Im Weltcup vor den Winterspielen belegten sie geschlossen die ersten drei Ränge. «Und sie haben sich eineinhalb Jahre auf der Olympiaschanze vorbereiten können», sagt Roth. «Aber auch sie sind schlagbar», folgt die Kampfansage des 21-Jährigen auf den Fuss. Die Chinesen hätten im eigenen Land mit Bestimmtheit einen riesigen Druck auf ihren Schultern.
Ohne saubere Landung nützt grösstes Risiko nichts
So ist er eben, Wirbelwind Noé Roth, der in Peking einen Wirbelsturm auslösen will. Das Knie sei zwar noch ein Fragezeichen, aber wenn er seine besten Sprünge auspacken könne, dann sei vieles möglich. Eines weiss auch der Innerschweizer, der seine Beziehung zu Trainervater Michel als «unkompliziert» und die Trennung der beiden Rollen als «problemlos» bezeichnet: «Es wird mehr brauchen für den Olympiasieg als beim letzten Mal». Vor vier Jahren in Pyeongchang erlebte er als 17-Jähriger das Olympiadebüt mit Rang 16.
Diesmal startet er mit ungleich höheren Ambitionen. Er sei ein ganz anderer Sportler, sagt der Zuger – konstanter, besser, erfolgreicher. Was geblieben ist, sind die ausdrucksstarken Sprünge. Noé Roth dreht 14 Meter über Boden nicht nur Schrauben im Akkord, er ist ein ausgesprochener Stilist. «Saubere Sprünge sind enorm wichtig. Die schwierigsten Sprünge sind nichts wert, wenn die Ausführung nicht gelingt», sagt er.
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