Selten war es in einem bedeutungslosen Spiel wichtiger, nicht zu verlieren. Eigentlich war vor dem Aufeinandertreffen zwischen England und Deutschland am Montag schon alles klar: England steigt aus der A-Liga der Nations League ab und Deutschland hat keine Chance mehr auf die Teilnahme am Finalturnier. Trotzdem waren beide Teams sichtlich gewillt, eine Reaktion auf die zuletzt dürftigen Leistungen zu zeigen.
Während sich das in der ersten Hälfte in einer beidseitigen Verkrampftheit äusserte, waren die Teams in der zweiten Halbzeit vom Mute der Verzweiflung getrieben. Zuerst England, das trotz ausgeglichener Spielanteile plötzlich 0:2 zurücklag, womit die dritte Niederlage in Serie drohte. Dann Deutschland, das die scheinbar komfortable Führung innert elf Minuten aus der Hand gegeben hatte und nun überraschend mit dem Rücken zur Wand stand.
Beiden Mannschaften war klar, dass bei einer weiteren Niederlage die Kritik auf sie niederprasseln würde. Knapp acht Wochen vor der WM in Katar wäre die Stimmung auf dem Tiefpunkt gewesen. So war es - trotz turbulenter zweiter Halbzeit - irgendwie logisch, dass die Partie 3:3 unentschieden endete.
"Für jeden etwas dabei"
Die Reaktionen in den Medien waren entsprechend gemischt. "Rätselhafter Sowohl-als-auch-Abend", titelte die "Süddeutsche Zeitung" und ging auf den widersprüchlichen Auftritt des deutschen Teams ein. Passend dazu wurde Bayern-Stürmer Thomas Müller zitiert, der konstatierte, dass in diesem Spiel für jeden etwas dabei gewesen sei, der vor der WM nach einer Erkenntnis über den deutschen Leistungsstand suche.
Derweil verwandelte die englische Boulevardzeitung "The Sun" den Ausdruck "Thunder and Lightning" (Donner und Blitz) in "Blunder and Lightning". Zwar würden die Aussetzer ("Blunder") in der Verteidigung Sorgen bereiten, doch immerhin habe sich endlich die Offensive spektakulär zurückgemeldet. Der EM-Zweite hatte in den fünf Spielen davor ein einziges Mal getroffen - notabene per Penalty.
Die in die Kritik geratenen Trainer waren bemüht, das Positive hervorzuheben. Es sei mit einigen Abstrichen ein guter Test gewesen, sagten Hansi Flick und Gareth Southgate, die nochmals die Titel-Ambitionen fürs Turnier in Katar unterstrichen. Um die dafür nötige Form zu finden, bleibe genug Zeit. Schliesslich hätten auch andere WM-Favoriten zuletzt Mühe gehabt.
Auch Frankreich enttäuschte
Dies gilt in erster Linie für Weltmeister Frankreich, der am Sonntag 0:2 gegen Dänemark verlor und deshalb auf kroatische Schützenhilfe angewiesen war, um in der höchsten Liga der Nations League zu verbleiben. Der Abstieg hätte die stolze Fussballnation zwar im Herz getroffen, wäre jedoch verkraftet worden. Vielmehr machte der Auftritt Sorgen im Hinblick auf die WM, an der die Franzosen eigentlich den "Fluch des Titelverteidigers" besiegen möchten. An den bisher fünf Weltmeisterschaften im 21. Jahrhundert ist der Titelverteidiger vier Mal bereits in der Gruppenphase gescheitert. Brasilien schaffte es 2006 immerhin in den Viertelfinal.
Die Niederlage vom Sonntag bezeichnete die Sportzeitung "L’Equipe" deshalb als "ernste Warnung". Auch, weil es bereits die zweite Pleite in Folge gegen Dänemark war, das an der WM erneut Gruppengegner Frankreichs sein wird. In dieser Partie (26. November), so fordert das Medium, dürfe das Team von Didier Deschamps im Vergleich zum Sonntag nicht wiederzuerkennen sein.
Dabei kann Frankreich immerhin auf die Rückkehr einiger Leistungsträger hoffen, die für die Partien der Nations League verletzt Forfait geben mussten. Es fehlten unter anderen erfahrene Spieler wie Karim Benzema, Paul Pogba, Hugo Lloris oder Kingsley Coman - diese vier Spieler kommen zusammen auf 367 Länderspiel-Einsätze. In Katar, wenn es um mehr geht als bei der immer noch wenig beliebten Nations League, dürften Les Bleus wie auch England und Deutschland ein anderes Gesicht zeigen. (sda)