notifications
EM Frauen

Englands Titelgewinn als Verpflichtung

Der EM-Titel der Engländerinnen hat das Land in Festlaune versetzt. Trotz gelöster Stimmung ist auch Platz für den Blick in die Zukunft. Das Vermächtnis des Turniers soll über den Sport hinausgehen.
Bild: KEYSTONE/AP/Rui Vieira

Nach dem 2:1-Sieg nach Verlängerung im Final gegen Deutschland gab es auf englischer Seite kein Halten mehr. Der Jubel kannte keine Grenzen, die Glückwünsche trudelten auch von höchster politischer Ebene ein.

Die Liste der Gratulantinnen und Gratulanten war lang und mit Prominenz in Hülle und Fülle versehen. Selbst Queen Elizabeth II. liess es sich nicht nehmen, ihren Landsfrauen ihre Hochachtung auszusprechen. Prinz William, als Präsident des englischen Fussballverbandes FA ohnehin an vorderster Front dabei, überreichte nach dem Final die Medaillen.

Niederländische Baumeisterin

Viele der Gratulationen waren direkt an Sarina Wiegman gerichtet. Es sind Zeichen der Wertschätzung für die Arbeit der seit dem vergangenen Jahr als Nationaltrainerin in England wirkenden Niederländerin. Die 52-jährige Wiegman hatte vor fünf Jahren schon die Frauen-Equipe ihres Heimatlandes zum Titelgewinn geführt. Nun wird sie in England als Baumeisterin des Erfolgs gefeiert. Wiegman gibt die vielen Lobesworte gerne weiter. "Es ist unglaublich. Die Spielerinnen haben den Sieg unbedingt gewollt und jeden Tag daran gearbeitet, sich zu verbessern. Ich bin stolz, wie wir das Turnier beendet haben."

"Oh mein Gott, es ist unfassbar. Das sind die Sachen, aus denen Träume gemacht sind", sagte Chloe Kelly, die zehn Minuten vor dem Ende der Verlängerung für die Entscheidung gesorgt hatte. Die 24-jährige Stürmerin von Manchester City war erst im April nach einem Kreuzbandriss aufs Spielfeld zurückgekehrt. "Ich habe immer daran geglaubt, dass ich hier dabei sein kann. Aber dann auch noch den Siegestreffer zu erzielen - einfach nur wow."

Nach ihrem Tor zum 2:1 streifte Kelly ihre Sorgen während der durch die schwere Knieverletzung beeinträchtigten Zeit im Vorfeld der EM im Wortsinn ab. Ohne Trikot, nur mit dem Nötigsten am Oberkörper bekleidet, liess sie ihren Emotionen freien Lauf.

Die kollektiven Glücksgefühle erreichten nach dem Schlusspfiff ihren ersten Höhepunkt. Für den gesamten Tross war Feiern angesagt, langes Feiern, dem historischen Ereignis angepasst. Geschichtsträchtig war der Triumph nicht nur auf Frauen-Ebene, war es doch der erste grosse Titel für England im Fussball seit dem Titelgewinn der Männer an der Heim-WM 1966.

Versuch der Einordnung

In die Glückseligkeit mischten sich erste Versuche, die Dimension des Titelgewinns bei dieser so besonderen Veranstaltung einzuordnen. "Das Vermächtnis dieses Turniers und dieses Teams ist eine Veränderung in der Gesellschaft. Wir haben alle zusammengebracht", freute sich Team-Captain Leah Williamson. Auch Wiegman war sich bewusst, dass der Erfolg eine besondere Auswirkung haben wird. "Dieses Turnier hat so viel gemacht für den Frauenfussball, aber auch für die Gesellschaft und die Frauen in der Gesellschaft in England, ich denke aber auch in Europa und auf der ganzen Welt."

Auch sportlich wird sich im englischen Frauenfussball einiges ändern, die Ansprüche werden weiter steigen. "Die Erwartungen werden jetzt durch die Decke gehen", vermutete Wiegman - und hob auch gleich den Mahnfinger. Auch bei der WM im kommenden Jahr in Australien und Neuseeland werde es nicht einfach sein, den Titel zu holen. Die Spielerinnen ihrerseits schlagen forschere Töne an. "Jetzt müssen wir versuchen, auch den WM-Titel zu holen", sagte Abwehrspielerin Lucy Bronze.

Vorerst gilt es aber erst einmal, die Qualifikation im September erfolgreich abzuschliessen. Da wartet Anfang September als erste Pflichtspiel-Hürde nach dem EM-Titel in Wiener Neustadt das im EM-Viertelfinal nur knapp an Deutschland gescheiterte Österreich.

Spätestens dann wird der Alltag die Engländerinnen wieder eingeholt haben. Auf die Glücksgefühle wird die Realität folgen. Auch den Europameisterinnen wird auf dem Platz nichts geschenkt werden. (sda)

Kommentare (0)