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OL-Weltcup Davos

Die Schweizer Nummer 1 redet im VIP-Zelt über Viola Amherd und Russland, anstatt im Wald um den Sieg zu laufen

Der sechsfache Weltmeister Matthias Kyburz muss für den Weltcupfinal und die WM-Hauptprobe der Orientierungsläufer in Davos wegen eines Misstritts Forfait geben. Dafür sind andere Talente des engagierten Sportlers gefragt.

Ein Athlet mit vielen Interessen: hier posiert OL-Läufer Matthias Kyburz für die Corona-Plakatkampagne des BAG.
Bild: Keystone

Eine Duftmarke setzen. Diese Absicht trug das langjährige Schweizer Aushängeschild im Orientierungslauf für den Heimauftritt vom Wochenende in sich. Schliesslich findet der Weltcupfinal seiner Sportart oberhalb des Davoser Sees ziemlich genau in jenem alpinen Geländetyp statt, der auch für die nächstjährige WM in Laax-Flims vorgesehen ist.

Und dort will der sechsfache Weltmeister Matthias Kyburz im kommenden Juli mit Heimvorteil nochmals ein sportliches Feuerwerk zünden. Am liebsten mit einer Goldmedaille in der Königssparte Langdistanz – die einzige Disziplin, die der 32-Jährige bei Welttitelkämpfen noch nie gewonnen hat.

Doch anstatt mit geschwellter Brust nach seinen imposanten Darbietungen des Spätsommers kommt Kyburz nun an Krücken in die Graubündner Tourismusregion. Er wird nicht in beeindruckender Art im Bergwald aufs Podest stürmen, sondern im VIP-Zelt mit seinen Ausführungen beeindrucken.

Über die Faszination seiner Sportart, aber auch mit Facetten seiner Persönlichkeit. Denn der Fricktaler ist einer der Sportler, die über den Tellerrand hinausschauen, sich in der Zeit neben Training und Wettkampf für sportpolitische Fragen interessieren und engagieren.

Kyburz hat zuletzt auch die starken Norweger beeindruckt

Matthias Kyburz lief vor zwei Wochen beim Selektionslauf zu eben diesem OL-Weltcupfinal zu einem weiteren klaren Sieg. Doch der Misstritt unterwegs entpuppte sich bei der genaueren Untersuchung als Anriss einer Sehne im Fuss. Sieben Wochen Laufverbot lautete das ärztliche Rezept.

Dabei hatte der Athlet eben erst das Rezept gefunden, wie er in der heimischen Bergwelt die zuletzt bei Titelkämpfen auf der Langdistanz dominierenden Norweger und Schweden in die Schranken weisen kann. Bei zwei internationalen Wettkämpfen südlich des Lukmaniers setzte er als Doppelsieger eine Duftmarke, die im Hinblick auf die WM auch der übermächtig scheinenden skandinavischen Konkurrenz zu denken gab. Matthias Kyburz war zuletzt definitiv «on fire».

Die Verletzung verhinderte übrigens auch eine weitere Premiere: den Gewinn des Grand Slams der Schweizer Meisterschaften. Nach Siegen in der Nacht, im Sprint und über die Mitteldistanz musste der Favorit wegen des Misstritts auf die Langdistanz verzichten. «Es wär das erste Mal gewesen, dass ich in einem Jahr alle vier nationalen Titel hätte gewinnen können», sagt Kyburz mit Bedauern in der Stimme. Damit verpasste er auch den Jackpot, welcher auf dieses Kunststück ausgesetzt ist.

Präsident der Athletenkommission des Schweizer Sports

Nun wird Kyburz also nicht im Vergleich mit der sportlichen Gegnerschaft punkten, sondern beim Small Talk mit den geladenen Gästen. Neben dem OL arbeitet der gebürtige Aargauer, der seit längerem in Liebefeld bei Bern wohnt, zu 40 Prozent im Bereich Nachhaltigkeit für die SBB. Zudem engagiert er sich seit mehreren Jahren in der Athletenkommission des Schweizer Sports. Seit 16 Monaten bildet er dort zusammen mit Ruderin Jeannine Gmelin das Präsidium.

Auf die Feststellung, dass beide Nebenjobs gut zu ihm passen würden, überlegt der 32-Jährige kurz. «Ich sehe Parallelen. An beiden Orten möchte man ein bestehendes System zum Guten verändern.» Er sei eben einer, der sich für Hintergründe und Zusammenhänge interessiere. «Viele Athletinnen und Athleten finden sich mit dem Umfeld, das meistens historisch gewachsen und oft aus Funktionärssicht geprägt ist, ab und sehen viel als gegeben an», stellt Kyburz fest.

Er selbst will «an Mauern rütteln» und spürt dank seinem Engagement, dass die Stimme der Athleten rund um ihre Rechte und Pflichten im Sport in den vergangenen Jahren deutlicher gehört und auch stärker berücksichtigt wird – in der Schweiz wie international. So wird aktiv die Meinung der Athletenkommission bei wichtigen Projekten von Swiss Olympic eingeholt, auch rund um die jüngste Megathematik zu Ethikfragen.

Bundesrätin Amherd sagt ja zu studierenden Sportsoldaten

Matthias Kyburz sieht immer mehr hinter die Kulissen. Und er freut sich über die kleinen Erfolge, die engagierte Sportlerinnen und Sportler wie er mitlanciert haben. Der 23-fache Weltcupsieger nennt ein Beispiel: «In dieser Woche haben wir erfahren, dass Sportministerin Viola Amherd grünes Licht gegeben hat, damit die 32 Zeitmilitärs aus dem Spitzensport parallel zu ihrer Armeezeit auch ein Teilzeitstudium absolvieren dürfen. Dies war bisher nicht vorgesehen, entspricht aber einem klaren Bedürfnis.»

Auch in den grossen Fragen des Sports ist Matthias Kyburz sattelfest und vertritt eine klare Meinung. Etwa bei der vom Internationalen Olympischen Komitee hinter den Kulissen forcierten Frage, ob russische Athletinnen und Athleten im Hinblick auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris bald wieder international starten dürfen.

Kyburz will keine russischen Sportler am Start

Er verweist auf seinen eigenen Sport, wo die Konkurrenten aus Russland oft beim Militär angestellt und im Armeeumfeld gross geworden sind. «Wenn ich rund um den russischen OL-Verband Bilder sehe, wie die besten Athleten mit dem Z-Symbol posieren und man Dienste für die Ausbildung von Soldaten im Bereich Navigation anbietet, dann finde ich eine Rückkehr fehl am Platz.»

Diese Bilder irritieren ihn umso mehr, da Matthias Kyburz mit vielen dieser russischen Konkurrenten über Jahre hinweg ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Deshalb sagt er ohne an seiner Ansicht zu zweifeln: «Ich denke, die können angesichts ihres militärischen Backgrounds gar nicht anders, als sich für solch verstörende Propaganda zur Verfügung zu stellen.»

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